Unter Strom

Ein spanischer Unternehmer läutet ein neues Zeitalter des Motorsports ein und eine bekannte deutsche Rennfahrerfamilie schickt ihren jüngsten Spross ins Rennen. Kann die Formel E den Motorsport ökologisch erneuern? Stop in der Boxengasse in Monte Carlo. Erschienen im Greenpeace Magazin, 2015.

Siege von gestern sind im Leben eines Rennfahrers bedeutungslos angesichts der Niederlage von heute, die wiederum nach einem morgigen Sieg vergessen sein wird. Triumphe und Misserfolge kommen und gehen. Die Mentalität eines Sportlers jedoch bleibt. Über die eines Rennfahrers sagt am meisten, wie er sich in der Niederlage verhält.

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Noch 27 Sekunden bis zum Ende. Daniel Abts Rennen wird sehr kurz sein. Mit seinen zwanzig Ingenieuren und Mechanikern hatte er sich einen Plan zurechtgelegt, der aufzugehen schien. Das freie Training in Monte Carlo lief gut, das Qualifying ebenso. Sein Team mit dem sperrigen Namen „Audi Sport Abt“ führt in der Mannschaftswertung der Formel E. Teamkollege Lucas di Grassi aus Brasilien ist Zweiter im Einzelclassement, der 22-jährige Daniel immerhin Fünfter.
Als er seinen Motor startet, ist da nichts, was faucht, kreischt, grollt, da sind kaum genügend Pferdestärken, die zu zähmen man Testosteron benötigen würde. Die elektrobetriebene Rennserie sei das Ödeste, was der Rennsport aktuell zu bieten habe, hat Niki Lauda der Zeitschrift „Auto Motor und Sport“ neulich über die Formel E gesagt. Einer wie er schaut auf die Formel E wie viele Männer auf den Frauenfußball: Technisch interessant sei das. Aber in Sachen Kraft, Speed, Spielwitz – ohne Adrena­lin, ohne Wumm, ohne Sex.
Als Lauda selbst Rennen fuhr, da waren Rennfahrer noch Kerle, Kämpfer, Krieger, da hatte der Motorsport Wumm. Bei dem Rennen 1976 hier in Monte Carlo gehörte Laudas Duell gegen seinen Widersacher James Hunt zum Aufregendsten, was die Formel 1 zu bieten hatte: In einem Auto saß Lauda, der österreichische Disziplinfanatiker, der im Leben alles dem Erfolg unterordnete. Im anderen James Hunt, der zu Lebzeiten die Legende streuen ließ, er habe 5000 Frauen beglückt, und der den Spitznamen „Hunt the Shunt“ trug, Hunt, der Verschrotter, weil er in seiner Karriere so viele Rennautos zerlegt haben soll.
Diese Zeiten, diese Männer, diese Rennen, die hatten Glamour. Aber das hier? Soll dieses zahnlose E-Mobil, mit dem sich Abt nun in die fünfte Reihe vor der Prinzenloge zum Start einreiht, ein Rennauto sein?
Leistung: 272 PS. Lächerlich, würde Lauda sagen. Formel-1-Autos bringen 800 PS auf die Piste. Spitzengeschwindigkeit: 230 Kilometer pro Stunde. Zum Schnarchen. Sebastian Vettel, der Hengst im Ferrari, galoppiert in seinem Geschoss locker 350. Und dann der Sound: Die Lautstärke dieser mädchenhaften Motoren liegt bei schüchternen 80 Dezibel. Ein Rasenmäher ist lauter. Vettels Formel-1-Bolide erreicht 130 Dezibel, so viel wie ein startendes Düsenflugzeug. Die Formel E sei wie Sex mit Socken, heißt es aus der Formel 1.
Immerhin, die Täuschung ist perfekt: Wie für den Formel-1-Grand-Prix hat das Fürstentum an der Riviera sein mondänes Kleid abgelegt und den Rennoverall übergestreift. Das Hafenviertel Monte Carlo ist so gut wie komplett eingerüstet. Um Bäume herum, über Freibäder hinweg, durch Brückenbögen hindurch sind mobile Tribünen aufgestellt worden. Der Eintritt ist frei, wie bei vielen anderen Rennen der Formel E. Die Serie hat schon in Peking, Buenos Aires und Kalifornien gastiert. Die Piloten auf der Rennbahn tragen Nachnamen, die Rennsportfans aus der Formel 1 kennen, Nelson Piquet jr., Nicolas Prost (Söhne), Bruno Senna (Neffe), Nick Heidfeld und Jarno Trulli. Erstmals in der 135-jährigen Rennsportgeschichte Monacos fährt die Formel E auf dem berühmten Innenstadtkurs. In der Luft liegt der spezielle Geruchsmix von heißen Reifen, Motoröl und Parfüm.
Prinz Albert II. setzt sich mit seinem Ehrengast, dem IOC -Präsidenten Thomas Bach, in einen zur Fürstenloge umfunktionierten weißen Container. Auch Flavio Briatore und die Sängerin Natalie Imbruglia – dreißig Fotografen im Schlepptau – ziehen sich auf ihre Plätze zurück, als jetzt die fünf roten Startampeln nacheinander erlöschen und die zwanzig Fahrer aus zehn Teams ins Rennen gehen. Im Unterschied zum Kurs der Formel 1 werden die E-Autos die erste Straßenecke an der St.-Devote-Kapelle nicht als einfache Rechtskurve, sondern als enge Haarnadel mit leichter Linkskurve fahren. Es ist die Stelle, die Daniel Abt zum Verhängnis werden wird. Die anderen Fah­rer werden weiter am Hafen entlangfahren, dann in entgegengesetzter Richtung in die nach dem Tunnel liegende Auslauf­zone, um am Ende über die Hafenschikane zurück zum Ziel zu fahren. Im Qualifying hat Abt für die 1,76 Kilometer lange Runde 55 Sekunden gebraucht.

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Bei einem Treffen vor einigen Wochen hat der jüngste Pilot der Rennserie gesagt, er wisse natürlich, dass die Jungs aus der Formel 1 den Klang der Elektromotoren lächerlich fänden. „Es gibt viele Legenden über den Motorsport. Eine besagt, Renn­maschinen müssen laut sein. Unsere habe einen düsenartigen Sound, manche sagen, sie klängen wie Staubsauger. Na und?“ Dafür gewinne die Formel E nur, wer energieeffizient fährt, sagt Abt. Für das Rennen stehen jedem Auto 28 Kilowattstunden zur Verfügung, die es verbrauchen darf. Wer ohne Verstand ins Rennen geht, kommt nicht ins Ziel. Eine Chance auf den Sieg hat nur der Fahrer, der an den richtigen Stellen Energie spart oder einsetzt, indem er zum Beispiel Rollphasen einbaut oder Kurven weich anbremst.

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Daniel Abt ist der jüngste Spross der wohl bekanntesten deutschen Rennfahrerfamilie, deren Männer schon immer zu den Schnellsten des Landes gehören wollten. Daniels Großvater Johann fuhr in Le Mans, Onkel Christian in der DTM, Vater Hans-Jürgen im ADAC GT-Cup. Die Abts besitzen eine Tuningfirma, die aus Serienmodellen von Audi und Volkswagen hoch­frisierte Wagen macht. Karl-Heinz Riedle (Fußball-Weltmeister 1990) und TV-Moderatorin Sonja Zietlow („Dschungelcamp“) gehören zur Kundschaft. In der Rennszene heißt es, noch vor zehn Jahren sei Daniels Vater Hans-Jürgen ein Benzinkopf ge­wesen, einer, bei dem kein Blut, sondern Super-Plus durch die Adern fließe. Mag sein.
Seit einigen Jahren aber investiert sein schon immer innovationsfreudiges Unternehmen auch in batteriebetriebene Au­tos. In Forschung und Entwicklung kooperiert das Familien­unternehmen mit der Kemptener Hochschule. Außerdem hat Abt Tuning im Auftrag der Post im Allgäu Transporter zu E-Mobilen umgerüstet. Als Hans-Jürgen Abt vor zwei Jahren von dem spanischen Unternehmer Alejandro Agag erfuhr, er wolle eine Elektro-Rennserie ins Leben rufen, begann er über Fragen nachzudenken, die Rennjunkies in der Regel nicht interessieren:

Muss Motorsport laut sein?
Muss ein Autorennen so viel CO2 in die Luft blasen?
Müssen Rennstrecken außerhalb der Städte liegen?

Woche für Woche fahren Motorsportfans durchs halbe Land zu Rennstrecken wie dem Hockenheim-oder Nürburgring, ge­ben dort hunderte Euros aus und setzen sich stundenlang dem Lärm von Rennautos aus, sagt Abt. „Dann fahren diese Männer wieder nach Hause und erzählen ihren Kumpels halbtaub am Telefon: Super! Ich hör’ zwar nix mehr, aber ich hab’ einen Top-Tag gehabt.“ Hinzu kommen die Abgase: Formel-1-Rennwagen verbrennen auf einhundert Kilometern zwischen achtzig und hundert Liter Treibstoff. Mit rund 1500 Gramm CO2 pro Kilometer spuckt ein Formel-1-Bolide rund neunmal mehr des klimaschädlichen Gases aus als ein Straßenauto. Zwar konnte die Formel 1 nach Angaben der Formula One Teams Associa­tion den CO2-Ausstoß der Autos zwischen 2009 und 2011 von 223.794 auf 208.373 Tonnen senken. Erhöht haben sich seitdem aber die Emissionen durch Logistik, weil die Zahl der Rennen gestiegen ist. „Die Formel E will in ökologischen Fragen vieles besser machen als die Formel 1“, sagte Agag damals zu Abt.
An der Rennstrecke in Monte Carlo ist der spanische Unternehmer nach Prinz Albert II. der gefragteste Mann. Agag ist Sohn eines algerischen Bankers und einer Spanierin. Über den 44-jährigen Betriebswirt schrieb die Zeitung „El Pais“, die Sim-Karte seines Mobiltelefons sei unbezahlbar, Agag habe die aller­besten Kontakte in Politik und Wirtschaft. In den Nullerjahren engagierte er sich in der konservativen Partei Spaniens Partido Popular, bevor er sich ganz dem Sportgeschäft zuwandte und mit Männern wie Flavio Briatore und Bernie Ecclestone 2007 den Londoner Fußballtraditionsklub Queen Park Rangers kauf­te. Agag ist eine Promotionmaschine, einer, der während seiner Termine an diesem Wochenende auf Knopfdruck und in vier Sprachen das Formel-E-Werbeprogramm abspielt. Früher war er selbst Rennfahrer.
Wie kommt also ausgerechnet einer wie er dazu, den Automobilrennsport sauberer machen zu wollen und die Formel E zu gründen?
„Ich war ein Benzinkopf, das stimmt. Als aber nach und nach meine vier Kinder geboren wurden, habe ich mich irgendwann gefragt: Welche Welt möchte ich ihnen hinterlassen? Was kann ich persönlich zu einem besseren Leben der folgenden Genera­tionen beitragen? Ich war Rennfahrer, da brauchte es also nicht viel Fantasie, um auf die Idee einer ökologischen Rennserie zu kommen.“ Natürlich lässt Agag unerwähnt, dass es nahezu nie­manden im Motorrennsport gibt, der Geld investiert, ohne daran verdienen zu wollen.

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Er öffnet ein Fläschchen mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Glycerin. Der süße, klebrige, dickflüssige Alkohol fällt bei der Produktion von Biodiesel ab. Mit ihm werden die Generatoren angetrieben, die auch an diesem Rennwochenende in Monaco den Strom für die Autos erzeugen. Er reicht es herü­ber und sagt: „Trink!“ Zum Beweis dafür, dass Glycerin unschädlich ist, startet Agag ein Filmchen auf seinem Tablet, in dem zu sehen ist, wie auch seine Mitarbeiter einen Schluck nehmen. „In den nächsten Jahren wollen wir die Batterien unserer Autos komplett mit Sonnenenergie laden. Aber wir sind technisch noch nicht so weit. So lange benutzen wir Glycerin. Die Formel E schmeckt gut und schadet niemandem“, sagt Agag.

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Schlösse Daniel Abt sein Smartphone an die 320 Kilo­gramm schwere und 150-Kilowatt starke Batterie seines Au­tos an, das nun im Rudel mit den anderen Boliden in die enge St.-Devote-Haarnadel einbiegt, er könnte es 274 Jahre lang laden, behauptet die Pressestelle der Formel E. Sie stellt in ihrer PR auch heraus, dass Zuschauer an der Strecke keine Ohrstöpsel benötigen wie in der Formel 1. Um Kosten zu kontrollieren und eine Materialschlacht der Teams zu vermeiden, hat Agag für die erste Saison, die Ende Juni in London endet, diesen Plan entwickelt: Die Rennserie wird mit Einheitsfahrzeugen gefahren. Die Chassis sind aus Kohlefaser. Alle Teams fahren die gleichen Reifen, sie eignen sich für trockene wie für nasse Fahrbahnbeläge. Pro Rennen steht jedem Fahrer nur ein Reifensatz zur Verfügung, zudem darf er noch einen Vorder-und einen Hinterreifen aus dem vorangegangenem Rennen nutzen, mehr nicht. Alle fahren mit dem von der Firma McLaren ent­wickelten Antriebsstrang und mit einer Batterie von Williams Advanced Engineering. Alle fahren auch das gleiche 5-Gang-Getriebe. Die zehn Rennen liegen zeitlich so weit auseinan­der, dass Autos und Material nicht per Flugzeug transportiert werden müssen, sondern aufs Schiff können. Finden mehrere Rennen hintereinander auf einem Kontinent statt, wird die Fracht auch mit Zügen befördert. Die Rennen finden in Innen­städten statt. Das Publikum kann also mit öffentlichen Verkehrs­mitteln anreisen.
Natürlich weiß Alejandro Agag, dass Autofahren im Grunde nie umweltfreundlich sein kann. Auch sind zu dem Spektakel in Monte Carlo immerhin 30.000 konsumfreudige Zuschauer zu Gast und hunderte Journalisten und Fotografen aus aller Welt eingeflogen. Aber Agag hat ein höheres Ziel: Er will mit seiner Rennserie nicht nur den Motorrennsport erneuern, sondern auch den Markt der Elektromobile ankurbeln, in dem er dem Publikum vorführt, dass Stromautos eben doch sexy sind.
Weltweit fahren derzeit nur rund 740.000 E-Autos. In Deutschland sind von den 43 Millionen zugelassenen Fahrzeugen nur 30.000 elektrobetrieben. Agag sagt: „Das Handicap sind die Batterien, nicht nur für unsere Rennserie. Sie haben eine geringe Reichweite und sind nicht leistungsstark genug.“ Die Formel E befinde sich sozusagen in der Steinzeit des Motorsports. Die Spannung wird in Zukunft auch darüber erzielt werden, wie sich die Teams technologisch weiterentwickeln. Deshalb will Agag in den folgenden Jahren das Regelwerk liberalisieren: Schon in der kommenden Saison dürfen die Teams den kompletten Antriebsstrang selbst entwickeln, Motor, Getriebe, Fahr­werk und Software. Im Jahr drei der Formel E könnte dann die Entwicklung der Batterien freigegeben werden, Genaues steht aber noch nicht fest.

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Doch wird die Umweltbilanz der Formel-E-Akkus in Zukunft nur dann positiv sein, wenn sie eine möglichst große Zahl an Zyklen fahren. Nach der Saison können die Lithium-Ionen-Batterien dann recycelt, darin enthaltene Metalle wie Kupfer, Aluminium, Cobalt, Nickel, Magnesium problemlos wiedergewonnen werden. Organische Anteile wie Kohlenstoff und Elektrolyt werden verbrannt. Im dritten Jahr könnte die Ent­wicklung der Akkus auch so weit sein, dass Formel-E-Autos ein ganzes Rennen durchfahren können. Heute schaffen sie rund 25 Minuten, dann sind die Batterien leer. Weil es zu viel Zeit kosten würde, die Akkus zu wechseln oder aufzuladen, steigen die Fahrer für die zweite Rennhälfte in ein anderes Auto mit voller Batterie um.

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Wie gesagt, über die Mentalität eines Rennfahrers sagt am meisten, wie er sich in der Niederlage verhält. Vor wenigen Wo­chen war Abt bei dem Rennen in Miami noch aufs Podium gefahren. Alles lief damals nach Plan. In Monte Carlo aber war der Plan von Abt und seinem Team nur so viel wert, wie andere es zuließen: Er ist seit gerade einmal 27 Sekunden im Rennen, als Nicolas Prost ihn beim Einlenken in die enge Gerade nach der St.-Devote-Haarnadel in die Seitenplanke drängt. Zwei, drei, vier Autos schieben sich von hinten in seine Karosserie, Carbonfetzen fliegen von den Fahrzeugen ab, Bruno Sennas Bolide kracht ebenfalls in seinen Wagen, hebt ab und fliegt über seinen Kopf hinweg. Fünf Autos fallen auf einen Schlag aus. Abt ist raus.
Während Teamkollege Lucas di Grassi am Ende des Rennens auf dem Siegertreppchen die Hand des Prinzen schüttelt und Champagner verspritzt, steht Abt in der Box und schaut sich den Crash noch einmal auf einem Monitor an. Er ist allein. Jedem normalen Autofahrer würde nach so einem monströsen Unfall wahrscheinlich noch lange danach das Herz bis zum Hals schla­gen. Abt aber, der coole Hund, ist gefasst.
„Hat Prost sich entschuldigt?“
Knapp: „Nein.“
Dann verfällt er in ein minutenlanges Schweigen und ana­lysiert wieder und wieder den Bilderloop des Unfalls auf dem Bildschirm.
„Was liegt jetzt an?“
Keine Antwort.
Viel gibt es nicht zu sagen nach so einem Tag. Was jetzt folgt: Rennanalyse. Restadrenalin rauspissen. Packen. Schlafen. Ab­flug. Ende Juni ist Finale. London wartet.formel-e