„Der EXZESS ist sichtbarer als jemals ZUVOR.“

Weltweit sind rund 6000 Superyachten registriert. Sie tragen Namen wie Turama, Namast, Eclipse, Grand Bleu oder Seven Seas. Im Bild oben ist die Segelyacht A zu sehen, die 2022 in Triest festgesetzt wurde. Sie ist die größte Segelyacht der Welt und gehört dem russischen Oligarchen Andrei Melnitschenko. Oft sind die Inhaber der Yachten allerdings unbekannt. Nicht selten sind die Schiffe Offshore registriert. Wenn im Sommer der „Milk Run“ einsetzt, die Überfahrt der Yachten aus ihren Winterquartieren in der Karibik nach Europa, verbrennen Superyachten nicht nur Unmengen Treibstoff. In Europa angekommen, zerstören ihre Anker das Neptungrass (lat. Posidonia oceanica). Seegraswiesen sind existenziell für das Ökosystem des Mittelmeers. Sie bieten rund 220 Tierarten Lebensraum, darunter Delfinen, Schildkröten und Barrakudas. Ihre Wurzeln festigen Küsten und sind wichtiger Sauerstoffspender. Der französische Soziologe Gregory Salle hat einen Essayband über Superyachten und Superreiche geschrieben. Jedes Privatvergnügen hat einmal seine Grenzen, findet er. Als gekürzte Fassung erschienen in der NZZ am Sonntag, 8.2023.

Monsieur Salle, entschuldigung, aber Sie gönnen anderen ihr Glück nicht.
Warum?

Nicht nur die Yachten kommen in ihrem Buch schlecht weg, auch Besitzer, Werften und Behörden. Fahren Sie doch einmal auf einer Superyacht mit. Vermutlich würden Sie anders denken.
Danke, nein. Die Welt der Superreichen ist nicht meine Welt. Ich liege lieber mit an der Côte d’Azur und schaue dem Treiben der Yachten zu. Dabei kam mir auch die Idee zu dem Buch: Vor ein paar Jahren, es war Pandemie, lag ich eines Tages am Strand und sah vor lauter Yachten das Meer kaum.

Während der Großteil der Menschheit im Lockdown saß, interpretierten Superreiche social distancing auf eigene Weise.
Ja. Sich vom Rest der Welt fernzuhalten gehört ja zum Wesen dessen, was die Fahrt auf einer Yacht ausmacht. Aber wenn sie mich zwingen, würde ich in Zukunft eine Reise auf der REV Ocean bevorzugen.

Hinter dem Schiff steht die Non-Profit-Organisation REV Ocean, die auf den Milliardär Kjell Inge Røkke zurückgeht. Sie ist so etwas die Superyacht unter den Forschungsschiffen. Was unterscheidet diese von anderen?
Wenn sie 2024 ausgeliefert wird, soll sie in der Lage sein, mit Schleppnetzen rund fünf Tonnen Kunststoff pro Tag aus dem Meer zu sammeln und zu verbrennen. Diese Superyacht scheint mir sinnvoll. Die anderen dienen meist dem Privatvergnügen.

Privatvergnügen ist zum Glück erlaubt. Was unterscheidet eigentlich eine Yacht von einer Superyacht oder einer Megayacht?
1990 genügte ein Schiff der Länge von 45 Meter, um in die Top-100 der größten Yachten gelistet zu werden. 25 Jahre später brauchte es dann schon 75 Meter. Heute liegt er Durchschnitt der 100 größten Yachten bei rund 100 Metern. In manchen Ländern werden die Begriffe Megayacht und Gigayacht synonym für Schiffe vewendet, die länger als 70 Meter sind. Doch gleichgültig wie groß sie sind, sie richten Schäden an. Das macht das Privatvergnügen einzelner politisch.

Ankern Superyachten in Gebieten, in denen Neptungras wächst, gefährden sie das Ökosystem im Mittelmeer.
Neptungras gedeiht im Salzwasser. Ein Hektar Fläche liefert rund fünf Mal mehr Sauerstoff als die gleiche Fläche Regenwald. Sie ist also existenziell für die Unterwasserwelt des Mittelmeeres. In den vergangenen 100 Jahren hat sich der Bestand des Neptungrases im Mittelmeer aber um rund 30 Prozent reduziert. Bis zu fünf Prozent der Seegrassbestände im Mittelmeer werden durch ankernde Superyachten zerstört.

Im Jahr 2011 filmte der Meeresbiologe Manu San Felixe aus Formentera, wie die Anker der Turama an einem einzigen Tag einen Hektar Seegras vernichteten. Die Turama ist mit 117 Länge und 17 Meter Breite die größte Charteryacht der Welt. Warum kann der Küstenschutz so etwas nicht verhindern?
Das müssen sie in diesem Fall die spanischen Behörden fragen. Die sollten wissen, dass die Balearen über die größten Neptungraswiesen im Mittelmeer verfügen. Die Erwärmung der Meere ist nur einer der Gründe für den Rückgang der dortigen Bestände – der andere sind Yachten, die in Buchten ankern, in denen sie nichts zu suchen haben. Manche lassen auch Abwässer illegal ein. Meist haben Küstenschutz und Wasserschutzpolizei zu wenig von allem: Personal, Boote, Geld.

Nachdem Ihr Buch erschienen ist, hat der Küstenschutz an der französischen Riviera sein Personal aufgestockt. Welche Küsten sind bei Superyachtbesitzern noch en vogue?
Die Balearen, Monaco, San Remo, Nizza und die Amalfiküste gehen immer. Natürlich auch St. Tropez, Porto Cervo und Portofino. Seit ein paar Jahren neu: Kroatien. Im Kommen: Apulien.

Müsste man Taucher unter Wasser schicken, um in flagranti zu belegen, dass ein Boot mitten in einem Neptungrass-Gebiet ankert oder dort sein Abwasser einlässt?
Ja. Um dem Treiben etwas entgegenzusetzen, müsste man Kriminelle auf frischer Tat ertappen. Allerdings haben Behörden die regionalen Seegrasbestände oft gar nicht oder nur schlecht kartografiert. Es ist nicht immer eindeutig, wo genau sie sich befinden und und wie groß die Wiesen sind.

Die Strafvefolgung von Umweltdelikten ist juristisch kompliziert.
Ja. Sie müssen eine klare Beweislage haben, ansonsten können Behörden kaum etwas durchsetzen. Auf Messen, Kongressen und Konferenzen kündigt die Branche zwar seit Jahren an, ökologischer zu werden. Viele der Ankündigungen sind aber eher ein Versuch der Industrie den Superkonsum von Superreichen so zu ‘framen‘, dass er grün wirkt. Die Party soll weitergehen.

2024 soll die Somnio ausgeliefert werden, sie wird 222 Meter lang sein. Darauf wird es 39 Luxuswohnungen geben. Das Konzept: Heute in der eigenen Wohnung in der Südsee, morgen in der Antarktis. Mehr Glück kann ein Menschenleben nicht bieten, finden Sie nicht?
‚Glück‘ ist eine mögliche Assoziation, die aufkommt, wenn man einen solchen schwimmenden Palast sieht. Doch Superyachten symbolisieren nicht nur Glück, Freiheit, Reichtum und Unabhängigkeit – Gier, Verschwendung, Steuerhinterziehung und unklare Besitzverhältnisse sind andere mögliche Assoziationen. Diese ausufernde Form von Reichtum war in keiner Phase des Kapitalimus zuvor möglich.

Sagen Sie jetzt nicht, der Neoliberalismus ist an allem Schuld.
Der ungezügelte Finanzkapitalismus hat Prunk und Protz auf eine bisher noch nie dagewesene Art angetrieben. Zudem wird der Narzissmus der Superreichen durch Social Media verstärkt – anderen das schöne Leben vorzuleben, das machen Superreiche zwar nicht exklusiv, aber sie spielen es gern mit. Lebensart lässt sich durch soziale Dienste hervorragend zuschaustellen. Der Exzess ist sichtbarer als jemals zuvor.

Superreiche gehören zu den weltweit größten Emittenten von CO2. Ihr durchschnittlicher Ausstoß im Jahr liegt bei rund 8000 Tonnen pro Person. Abramowitschs Superyacht Eclipse stößt pro Jahr knapp 34.000 Tonnen aus.
Superreiche leben anderen ein Leben vor, das den politischen Notwendigkeiten widerspricht, die im Zuge des Klimawandels angegangen werden müssten. Doch sie halten dies für Freiheit.

Wir leben in einem Zeitalter, in dem die meisten Menschen Freiheiten genießen, wie nie zuvor. Was aber ist die Freiheit einzelner Wert, wenn sie die Freiheit der vielen anderen auf lange Sicht einschränkt?
Superreiche haben die Freiheit, ihre Flieger, Yachten und Hubschrauber zu jedem Zeitpunkt an jeden Ort dieser Welt zu steuern und dabei Luft, Natur und Landschaft zu verbrauchen, während zugleich zwei Milliarden Menschen in der Welt nicht einmal eine eigene Toilette besitzen. Ich würde die Freiheit des Einzelnen immer verteidigen, aber unverkennbar ist, es ist etwas aus den Fugen geraten, was nach Korrektur ruft.

Führt ungezügelte Freiheit unweigerlich zu Restriktionen?
Das ist eine gute Frage. Nehmen wir die Touristikindustrie: Ich bin ein leidenschaftlicher Skifahrer. Mit meiner Familie habe ich meine gesamte Kindheit in den französischen Alpen verbracht. Inzwischen richtet der Skitourismus aber derart große Zerstörungen an, dass wir darüber nachdenken müssen, ob die Freiheit zu reisen, uns ökologisch nicht in ernste Schwierigkeiten bringt.

Wie könnte man Vergnügen mit Verantwortung vereinbaren?
Nehmen wir die Küsten Italiens: Obwohl der Gesetzgeber den freien Zugang aller Küsten garantiert, sind dort so gut wie die Hälfte aller Strände privatisiert. Fast überall, wo sie hinkommen: Strandgebühren, Parkuhren, Bars, Discotheken, Hotels, Restaurants. Strände sind Geldmaschinen. Doch früher oder später wird es zu Restriktionen kommen müssen, wenn der italienische Staat ökologische Schäden eindämmen will. Anders wird es kaum gehen.

Könnte man nicht Strände und Küstenabschnitte, die ökologisch überlastet sind, eine Zeit lang schließen?
Ja. Das ist eine Möglichkeit, damit sich diese Abschnitte erholen. Dann öffnet man sie wieder und schließt dafür andere. Ein solches Rotationsverfahren wäre auch für überlastete Skigebiete denkbar.

Wie sehen Sie das Thema Zertifikatehandel für Privatpersonen: Jene, die viel CO2 verantworten, müssten Zertifikate von anderen kaufen, die mit ihrem Verbrauch sparsam umgehen.
Das ist eine Idee, die in vielen Ländern diskutiert wird. Ich finde allerdings, der einzelne Mensch sollte erst am Ende der Verantwortungskette stehen. Vorher müssten Unternehmem in die Verantwortung genommen werden, Fluggesellschaften, Touristikunternehmen oder Nahrungsmittelkonzerne. Auch Werften, die Superyachten bauen, könnte man mit Auflagen dazu zwingen, Antriebe zu entwickeln und Baustoffe zu verwenden, die ökologisch verträglicher sind.

Werften geben nur ungern Auskunft über ihre Vorhaben. In Ihrem Buch nennen Sie Werften „die verborgenen Stätten der Produktion“. Warum ist das so?
Weltweit bauen circa 100 Werften Yachten im großen Format. Über eine Millionen Menschen sind in der Branche direkt oder indirekt beschäftigt. Der Bau einer 65-Meter langen Yacht bietet etwa 350 Arbeitern zwei Jahre lang Arbeit. In der Superyachtbranche machen die körperlich Arbeitenden fast 90 Prozent aller Mitarbeiter aus. Sie haben großen Anteil daran, dass diese Branche eine Boombranche ist. Deswegen verstehe ich absolut, wenn Arbeiter in diesem Sektor glücklich darüber sind, wenn die Auftragsbücher ihrer Werft voll sind. Als Soziologe aber interessiert mich, unter welchen Arbeitsbedingungen sie Luxusschiffe bauen. Das ist jedoch kaum bekannt.

2025 wird die 300 Meter lange Earth 300 zu Wasser gelassen. Sie wird die größte Superyacht der Welt sein und 400 Passagieren Platz bieten. Ihr CO2-Fußabdruck soll relativ gering sein, umstritten ist sie dennoch – sie wird mit Atomkraft betrieben sein. Fahren sie mit?
Nein, ich bevorzuge kleine, mechanische Fahrzeuge, wie mein Großvater früher. Wenn etwas kaputt ging, reparierte er es und weiter gings.

ZUR PERSON
Gregory Salle, 45, ist Soziologe und Politikwissenschaftler. Er ist Research Fellow am Centre national de la recherche scientifique in Paris. Superyachten – Luxus und Stille im Kapitalozän, Suhrkamp 2022.