ALBTRÄUME AUS ÖL

Rena Effendi symbolisiert das schlechte Gewissen eines Landes, hinter dessen Öl­reserven halb Europa her ist. In ihren Bildern zeigt die 34-jährige Fotografin eine Seite Aserbaidschans, die die Regierung nicht gern aufgeführt sieht. Erschienen im Greenpeace Magazin, 2011.

Nachdem die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline 2005 in Betrieb genommen wurde, begann die gebürtige Aserbaidschanerin für BP zu arbeiten. Im Auftrag des Mineralölkonzerns machte sie Fotos für einen PR-Kalender. Dazu fuhr sie einen Teil der 1760 Kilometer langen Leitung ab, die Rohöl aus Förder­regionen Aserbaidschans und Kasachstans am Kaspischen Meer nach Ceyhan an die türkische Mittelmeerküste transportiert. Was sie sah, bewegte Effendi dazu, auf eigene Rechnung zurückzukehren, um zu fotografieren, was auf den hoch­polierten PR-Fotos nicht zu sehen war.

Entlang der Pipeline leben Aserbaidschaner, Georgier, Türken, Kurden, Araber, Armenier und Griechen. Die acht an der Pipeline beteiligten Mineralölgesell­schaften hatten ihnen Wohlstand ver­sprochen. Das Gegenteil aber trat ein: Heute bestimmen oft Umweltzerstörung und Armut ihr Leben.

Die Aufnahmen in Effendis Buch ent­standen während mehrerer Reisen. Der Zufall bescherte ihr Situationen, die in Aufnahmen wie jener auf Seite 61 ihres Bildbands „Pipe Dreams“ mündeten: Ein Fremder sprach sie in den Straßen von Mahalla an, einem Viertel in Aserbaidschans Hauptstadt Baku. Er bat Effendi zu sich nach Hause, um ein Bild seiner Mutter zu machen. „Als ich in das Haus eintrat, bin ich vor dem Anblick einer sterbenden Frau erstarrt“, erinnert sich die Fotografin. Die Frau atmete schwer und laut. Sie versuchte sich mit letzter Kraft am Leben zu halten. Ein Begleiter musste die geschockte Effendi daran erinnern, die Blende ihrer Kamera auf 2.8 aufzureißen, um das Foto den dunklen Lichtverhältnissen anzupassen.

Erst als sie das Bild entwickelte, fiel auf, dass sich in die Szene eine unpassende Heiterkeit hineingeschlichen hatte: Nicht nur die Frau am Rand des Sterbebettes und der Mann am Telefon scheinen vom nahenden Tod der Kranken unberührt. Sogar die Frauen auf dem Zeitungspapier, das als Tapete die Hauswände der ver­armten Familie isoliert, schmunzeln.

Die meisten Fotos hat Effendi mit einer Rolleiflex aufgenommen, einer Mittel­formatkamera, bei der sie den Kopf senken muss, um von oben in den Sucher zu schauen. „Die gebetsartige Haltung entspannt nicht nur mich bei der Arbeit – sie vermittelt auch den Menschen vor der Kamera Ruhe“, glaubt Effendi. Für ihre gemäldeartigen, oft düsteren Schwarz-Weiß-Fotos wurde Effendi im Ausland mit Preisen überhäuft. Ihr Buch fand nie den Weg in ihre Heimat. Die Lieferungen wurden von Zollbeamten beschlagnahmt.

pipe dreams
Rena Effendi : Pipe Dreams. Benteli Verlag,
Bern 2009, 180 Seiten, 39 Euro.