„Ich bin ein Skeptiker der Aufklärung.“

Ich treffe Feridun Zaimoglu in seiner Kieler Wohnung. Ein Handwerker renoviert sein kleines Malatelier. Im Flur werden neue Elektroleitungen gelegt. Zaimoglu hatte zuviele Steckdosen seriell hintereinander geschaltet, die Sicherungen brannten ständig durch. Auf seinem kleinen Küchentisch steht seine elektrische Schreibmaschine, eine AEG Olympia Carrera SI. Drumherum Zeitungen, Post, ausgedrückte Zigaretten in übervollen Aschenbecher. Vier Maschinen desselben Typs besitzt er, die zweite steht auf dem neuen Schreibtisch aus hellem Multiplexholz im Arbeitszimmer, eine weitere im Ferienhaus seiner Eltern an der Ägais und eine in der Wohnung in Ankara. Das sind die Orte, an denen er sich zum Arbeiten aufhält. Zum Frühstück gibt’s heute drei Tassen löslichen Kaffee, Rumkugeln und vier, fünf Marlboro Menthol. Erschienen in Du, Schweiz, 2008.

Herr Zaimoglu, haben sie heute schon gebetet?
Nein, warum sollte ich?

Sie sind Moslem. Müssten sie nicht fünf mal am Tag gen Mekka beten?
Könnte ich, muss ich aber nicht. Es geht ja auch nicht jeder Christ Sonntags in die Kirche, weil er an Gott glaubt. Ich bin sozusagen antiklerikal. Ich mache die Religion nicht zur Hauptsache, ich benötige sie für mein Leben nicht. Ich bin dennoch ein gläubiger Mensch.

Sie sind Mitglied der Islamkonferenz, an dessen Ende die offizielle Anerkennung einer dritten Religionsgemeinschaft neben den Christen und Juden in Deutschland stehen könnte. Warum, glauben sie, hat Gastgeber Innenminister Wolfgang Schäuble sie dazu eingeladen?
Die Frage ist berechtigt: Denn was hat so einer wie ich dort zu suchen? Wahrscheinlich haben die Gastgeber in den letzten Jahren gesehen, daß ich mit meinen Büchern junge türkische Einwanderer anspreche oder deren Lebensverhältnisse behandele. Aber ich habe immer wieder in den öffentlichen Diskussionen gesagt, ich bin kein Islamexperte, auch wenn ich mir in Deutschland immer wieder vorkomme wie der Pressesprecher einer Weltreiligion: zu jedem noch so fragwürdigen Anlass, in dem der Islam eine Rolle spielt, klingelt das Telefon und irgendein Journalist oder Politiker will eine Erklärung von mir. Die Organisatoren um den Innenminister haben sich wahrscheinlich gedacht, so ein prominenter Kopf gehöre eingeladen. Dann bin ich also dorthin gelatscht.

Wo fand das erste Treffen statt?
Ich bekam eines Tages einen Brief des Innenministers, in dem er mich einlud in ein Berliner Restaurant zu kommen. Das Thema des Abends war in dem Brief nicht angekündigt. Die Presse sei unerwünscht, stand darin. Ich traf dort im Restaurants verschiedene Vertreter islamischer Einrichtungen, muslimische Autoren, Journalisten und Wissenschaftler. Es war ein erstes Sichtungstreffen des Gastgebers, der zu diesem Zeitpunkt wußte was er vorhat. Im letzten September wurde eine kleinerer Kreis von Ausgewählten ins Schloß Charlottenburg zur Konferenz geladen.

Die Muslime in Deutschland sind vielen einzelnen Gruppen organisert. Wer da eine Auswahl trifft, setzt sich zwangsläufig dem Vorwurf aus, jemanden zu vergessen. Im Schloß Charlottenburg trafen sich dann 15 Muslime und 14 Vertreter von Bund und Ländern. Sie haben an der Zusammensetzung der Konferenz bemängelt, die einfache, islamische Frau mit Kopftuch sei nicht vertreten. Warum?
In der Runde sitzen Politiker, Islamwissenschaftler, da sitzen auch Frauen, die dem Wunsch der Gastgeber entsprechen, einen kritischen Bezug zum Sujet zu schaffen. Da sitzen ebenfalls Strenggläubige – und das ist auch richtig – weil die den Kontakt zur Basis haben. Was mir auffiel war, in dieser Runde sitzen ortodoxe Männer und reden über Frauen mit Kopftuch. Und da sitzen auch islamkritische Frauen und sie reden über dieselben Frauen. Es scheint mir etwas verkehrt zu sein, wenn man eine solche Konferenz einberuft, aber eine gläubige Frau aus der zweiten Einwanderergeneration der Türken und Kurden mit Kopftuch ist nicht anwesend. Diese Frauen sind doch das Thema der Saison oder nicht?

Die gläubige, traditionelle, islamische Frau ist nicht nur in der Konferenz abwesend. Auch in der veröffentlichten Meinung, in Presse und Fernsehen, ist sie vorwiegend Objekt der Berichterstattung und wird meist als unterdrückte Frau stilisiert.
Ich habe etwas dagegen, wenn Menschen zum Objekt irgendwelcher Diskussionen oder Eröterungen werden und sie selbst dabei nicht zu Wort kommen. Alle geben vor, zu wissen, was diese Frau denkt und glaubt und worunter sie leidet. In diesem Zusamenhang wird auch immerwieder der Blödsinnn verbreitet, das Kopftuch sei ein politisches Symbol, und keiner wehrt sich dagegen – es können doch nur Männer und Frauen so über diese Frau reden, die ideologisch verblendet sind. Mir sind in diesem Zusammhang auch diese seltsamen Fibeln aus der Feder muslimischer Frauen suspekt, die zunehmend auf den Markt drängen. Es hat etwas Märchenhaftes, wenn da Frauen sich mit einem einfachen Befreiungsschlag von allen Fesseln lösen wollen. Das hat nichts mit der Realität zu tun. Der Realität nämlich jener Frauen, um die es eigentlich auch gehen sollte in der Öffentlichkeit. Ich würde sofort meinen Platz bei der Konferenz für sie räumen und sie könnte dort für sich sprechen.

Die Konferenz ist der Beginn eines zweijährigen Projekts, in denen sich die Teilnehmer in den kommenden Jahren regelmäßig treffen und Protokolle anfertigen. Am Ende sollen konkrete Projekte erarbeitet werden. Sie sind Mitglied der Arbeitsgruppe Medien. Wie sieht ihre Tätigkeit aus?
Theoretische Papiere gibt es genug zum Thema. Nun wird gearbeitet. Dazu wurden vier Arbeitsgruppen gebildet. Sie sind heterogen zusammengesetzt, ethnisch wie auch professionell. In unserer Gruppe sind wir zehn Teilnehmer. Die Gruppe analysiert wie Islam und Moslems in Medien dargestellt und inszeniert werden. Ich beobachte die elektronische und gedruckte Berichterattung. Ich schaue, welche Fälle skandalisiert werden, welche Bilder mit welchen Schlagzeilen betextet werden. Im nächsten Schritt setzen wir Dossiers auf. Diese Ergebnisse werden der Konferenz vorgestellt. Später bauen wir Kontakt zu den Medienschaffenden auf und versuchen mit ihnen in die Diskussion zu kommen. Es geht uns dabei nicht darum, die gesamte Berichterstattung politisch korrekt zu bürsten. Aber wir wollen gegen diese irrationale Islamophobie angehen.

Weil die Angelegenheit auf Ministerialebene aufgehängt ist, werden sich die Medienvertreter für ihre Ergebnisse interessieren müssen. Der Innenminister hat sie ja sozusagen persönlich beauftragt.
Ehre wem Ehre gebürt, sage ich. Wenn ein Innenminister plötzlich merkt, dass die Moslems ein Teil unserer Gesellschaft sind, dann ist das ein enormer Schritt. Politisch trennen Herrn Dr. Schäuble und mich zwar Welten. Aber das ist egal. Der Innenminister hat mit der Islamkonferenz einen Anfang gewagt, den die die rot-grüne Regierung zuvor versäumt hatte unter einem Innemminister Schily.

Der Status der Debatte um den Islam hatte zu Zeiten der rot-grünen eine andere Qualität – es ging in erster Linie um Sicherheitsfragen.
Nein. Der Stand der Debatte war soweit, es hätte zu einer ähnlichen Runde kommen können, wie sie jetzt von Schäuble zusammengeholt wurde. Schily aber war einfach zu arrogant. Der hatte kein Interesse auf eine faire Auseinandersetzung. Wir mußten auf einen CDU-Mann warten, weil der Sozialdemokrat Schily nicht interessiert war. Es ist aberwitzig. Aber es ist auch gut, jetzt misstrauisch zu bleiben.

Misstrauisch gegenüber wem?
Die Leute, die solche Runden zusammensetzen sind klug und überlegen genau, wen sie dazuholen und wie sie die Runde mischen. Die setzen eine solche Konferenz auch strategisch zusammen und haben Interessen. Die denken sich vielleicht: „Gut, wir haben Euch hierher geholt, wir geben euch Teilhabe. Aber wir haben auch Vorstellungen.” So sehen die Spielregeln aus. Aber das weiß jeder in der Runde.

Haben sie sich gefragt, ob sie bei den strategischen Spielen, die Politik immer bedeutet, als soetwas wie der Doppelagent von den Gastgebern instrumentalisiert werden könnten: sie sind ein deutscher Türke, der die Gepflogenheiten hierzulande kennt und den Menschen dort draußen vertrauter ist als ein anonymer Gebetsvorsteher oder eine Kopftuchmuslima?
Natürlich könnten sie mich für beide Seiten einsetzen, als Moslem, aber auch als aufgeklärter Westtürke. Aber wissen sie, ich bin von meinem Naturell her eher ein Heckenschütze. Ich lasse mich ungern lange vor den Karren spannen. Sie wissen von mir, das ist ein Prominenter, von mir aus ein Literat, der sich eloquent ausdrücken kann; der hat auch in der Vergangenheit kein Zweifel daran gelassen, daß er sich für Deutschland als ihm vertrauten Boden einsetzt. Sie könnten also davon ausgehen, daß der sich nun auch für einen deutschen Sonderweg im Islam einsetzt. Ich kann folgendes sagen: ich bin tatsächlich ein Befürworter des deutschen Islam. Aber ich lasse mir meinen Glauben nicht zum Spielzeug anderer machen. Ich will keine Smiley-Religion, die für alle verdaulich ist. Da werden hoffentlich keine Loyalitäten erwartet, auf die zumindest ich mich nicht einlassen kann.

Was ist deutscher Islam?
Es ist der Islam, der von Menschen praktiziert wird, die hier leben und hier glauben.

Demnach unterscheidet er sich von einem meinetwegen persischen, türkischen oder palästinensischen?
Natürlich. Die Menschen hier haben andere soziale, politische und psychologische Prägungen erfahren als woanders. Es gibt doch nicht nur einen Islam, genau so wenig wie es nur eine Ausprägung des Christentums gibt. Er unterscheidet sich vielleicht nicht immer in seinen Codes, aber doch in der Art der Praxis regional, national, kontinental.

Bisher wurde die Anerkennung des Islam in Deutschland mit dem Hinweis verweigert, die Muslime besäßen keine einheitliche Vertretung. Die Anerkennung würde den Gläubigen erhebliche Rechte sichern. Einen Anspruch, den die Politik an die muslimischen Vertreter der Konferenz haben könnte, wäre, soetwas wie einen zentralisierten Verband zu organisieren. Zur Zeit sind Muslime in Deutschland in sechs Dachverbänden und vielen kleineren Organisationen zusammengeschlossen.
Das Innenministerium strebt vielleicht einen Verband an, ähnlich wie den Zentralrat der Juden, also eine islamische Körperschaft. Aber das wird nicht passieren, weil der Glaube eine solche Körperschaft, die alle an sich bindet und die alleinigen Vertretungsanspuch hätte, nicht erlaubt. Die Vielfalt von Glaubensrichtungen ist im Islam strukturell angelegt. Er kennt keinen offiziellen Klerus. Für die Moslems in Deutschland wird es also keine zentrale Priesterschaft geben können, die sie vertreten. Der Zentralrat der Moslems in Deutschland etwa ist eine muslimische Instituion von vielen. Den Beteilgten der Konferenz muß also klar sein, ein Vetretungsgedanke wird aufgrund des Glaubens nicht möglich sein. Ein Gremium könnte eher möglich sein. Vielleicht ist die Islamkonferenz ein Schritt hin zu diesem Ziel.

Nährt aber nicht ausgerechnet dieser Punkt die Furcht derer, die den Islam als fanatisch, altertümlich und modernitätsfeindlich kritisieren?
Gut, der Islam ist noch nicht in der Moderne angekommen. Von mir aus. Aber ich gehöre zu denen, die das nicht bedauern. Ich bin ein Skeptiker der Aufklärung. Sie hat viele gute Taten bewirkt, aber sie hat auch die Märchen, die Träume, den schönen Irrationalismus, die alte Welten und Legenden vernichtet. Die Folgen der Aufklärung hat allen Werten einen Warencharakter verliehen. Einzig der Glaube lässt sich nicht in dieses säkulare Verständnis hineinpressen. Ich bin ein erklärter Feind von Konzepten wie dem Euro-Islam oder einem wie auch immer gearteten säkularen Islam. Auf der anderen Seite verurteile ich religiösen Wahn. Staat und Religion müssen klar voneinander getrennt werden. Es ist doch abartig, dass Muslime zur Zeit allerorten dazu genötigt werden einen seelischen Striptease hinzulegen, weil man ihnen sonst nicht über den Weg traut.

Wie kann die Arbeit der Konferenz den Alltag der Muslime verändern?
Brechen wir die Diskussion auf die praktischen Dinge des Lebens herunter: In Bayern herrscht beispielsweise Sargpflicht. Tote dürfen nur in Särgen begraben werden. Moslems aber ist es verboten in Särgen begraben zu werden. Sie werden In einem Leichentuch gewickelt und binnen 24 Stunden in einem Erdloch versenkt. So etwas muss bundeseinheitlich geregelt werden. Islamische Friedhöfe gibt es da und dort. Aber wenn wir soetwas nicht regeln, schicken die Leute ihre toten Angehörigen zum Beerdigen in die Türkei. Dann kommen wieder diese Idioten und sagen: Wir habens ja gewußt, die wollen sich nicht anpassen, die köcheln ihr eigenes Süppchen in unserem Land. Und das ist nur ein Beispiel. Ich würde auch gern über die Ausbildung von islamischen Geistlichen oder den Islam-Unterricht in der Schule reden. Ansonsten gibt es in jedem Glauben einen Glutkern, in den sich auch der Staat nicht einzumischen hat. Glauben ist Privatsache.