ANGST? Na und.

Eine handvoll grundsätzlicher Gedanken zum Thema des Jahres 2016.

Legten wir in unserem Alltag nicht hin und wieder ein Mindestmaß an Mut an den Tag, wir wären Feiglinge. Auch als Feigling kann man ein gutes Leben führen. Es besteht kein großer Unterschied zwischen einem Feigling und einem mutigen Menschen. Beide haben Ängste. Sie unterscheiden sich nur in einem, der Feigling gibt seiner Furcht nach. Wunder darf der nicht erwarten. Der Mutige geht durch die Angst hindurch ins Unbekannte.

Das Unbekannte macht Menschen Angst. Als Kinder fürchten wir die Nachtgespenster dieser Welt. Reifen wir, haben wir als Jugendliche Angst vor Prüfungen. Wir fürchten um unseren Arbeitsplatz als Erwachsene, weil wir uns vor dem ängstigen, was wäre, wenn wir keinen mehr hätten. Wir fühlen uns bedroht von Fremden, weil wir sie nicht kennen und nicht wissen, was sie über uns denken. Lieben wir jemanden, fürchten wir den Verlust dieses Menschen, weil wir uns ein Leben ohne ihn nur schwer vorstellen wollen.

Was uns ängstigt, sind aber meist keine realen Begebenheiten: Im Laufe unseres Lebens werden wir mit relativ geringer Wahrscheinlichkeit einmal überfallen oder ernsthaft bedroht. Gemessen an den Flugzeugen, die jährlich weltweit in die Luft steigen, stürzen relativ wenige wieder ab. Auch erkranken wir eher an einer banalen Erkältung als an einem lebensgefährlichen Virus. Wir fürchten also nicht die Realität, sondern vielmehr unsere düsteren Phantasien über die Realität: Wir könnten überfallen werden, wir könnten abstürzen, wir könnten lebensgefährlich erkranken. Wir malen uns also aus, welche bösen Konsequenzen sich für uns ergeben, wenn dies oder jenes geschieht oder wir dies oder jenes tun oder sagen. Ständig berechnen wir die Folgen unseres Handelns und malen uns negative Szenarien aus.

Furcht ist also nichts weiter als die Unfähigkeit, die Entstehung unserer Gedanken und Gefühle zu beherrschen. Genauso gut könnten wir sie einfach nur geschehen, sie kommen und gehen lassen ohne ihnen allzu großes Gewicht zu geben. Wir könnten sie als Phantasie betrachten, als menschliche Marotte belächeln, als faules Gefühl entsorgen. Anstelle dessen folgen wir ihnen wie ein Esel der Karotte.

So wie die Karotte den Esel zum Dummkopf macht, ist es die Angst, die Menschen zu Sklaven macht. Das Gegenmittel, das Menschen von der Furcht befreit, heißt Mut. Platon zählte Mut zu den vier Kardinaltugenden. Die anderen sind Weisheit, Begierde und Gerechtigkeit. Vielleicht ist Mut die wichtigste Tugend von allen. Denn alles andere im Leben folgt dann von allein.

Die englische Übersetzung für Mut ist Courage. Darin steckt das lateinische Wort für Herz. Jemand der also Mut hat, lässt sich von seinem Herzen leiten. Der nimmt „sein Herz in die Hand”, sagt man. Mut ist demnach nichts, was der Verstand berechnet. Der Kopf ist voll mit Wissen und Erfahrungen und errechnet daraus so etwas wie Wahrscheinlichkeiten, mit denen dies oder jenes in der Zukunft eintreten kann. Mut ist eine Herzensangelegenheit, die einen bewegt, sich für etwas einzusetzen. Der Kopf ist der Geschäftsmann, das Herz ist der Spieler in uns.

Wer mit dem Leben eher spielen möchte als es als Geschäft zu betreiben, benötigt Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten. Vertrauen ist vielleicht die mutigste aller menschlichen Eigenschaften, denn wer Vertrauen an den Tag legt, kann sich fremden Menschen oder unbekannten Situationen zuwenden, obwohl er sich davor fürchtet. Was uns Angst macht, uns an schmerzhafte Grenzen führt, vermeiden wir gewöhnlich. Dabei ist ja völlig klar: Wo die Angst ist, ist der Weg.

Wer bereit ist, etwas zu riskieren, auch auf die Gefahr hin, auf unbekanntem Terrain Fehler zu machen, beschreitet immer den richtigen Weg. Wer das Unbekannte meidet, lebt dagegen ein Leben aus zweiter Hand, eines, das einem nichts weiter bietet außer Kombinationen unserer alten immer wieder durchgekauten Gedanken und der daraus resultierenden Möglichkeiten. Freiheit aber erlangt nur, wer in das Unbekannte hinter der Wissensbarriere schreitet.