Der Rest ist Schweigen

Deutschland ist der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Die Bundesstraße 31 am Bodensee ist die Wirbelsäule der deutschen Rüstungsindustrie. Ein  Sittengemälde. Von Vito Avantario und Kurt Stukenberg. Fotos: Samuel Zuder. Erschienen im Greenpeace Magazin, 2015.

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Alle Fotos: Samuel Zuder, http://www.samuelzuder.com

Wer in diesen Ort kommt, kann den Eindruck gewinnen, das Kapital habe hier die absolute Vollendung erreicht: Vor der Villenkulisse schaukeln unzählige Segelboote auf den kleinen Wellen auf und ab. Überlingen wirkt hier wie eine Heimstätte reicher Pensionäre. Das Städtchen am deutschen Ufer des Bodensees liegt in Baden-Württemberg, einem katholisch geprägten Bundesland. 60 Jahre lang haben die Christdemokraten hier durchgehend regiert. In Überlingen haben viele Millionäre ihren Wohnsitz. Die Grundstückspreise liegen hier höher als in Deutschlands teuerster Stadt, München. Leben tun die Menschen hier vom Tourismus und vom Waffenbau.
Nirgendwo sonst in Deutschland ist die Rüstungsindustrie so konzentriert wie am Bodensee, an der Bundesstraße 31 reihen sie sich wie eine Perlenkette. Sie ist die Lebensader des Waffenclusters. Entlang der Strecke von Überlingen über Friedrichshafen nach Lindau haben traditionsreiche Unternehmen wie Rheinmetall, die Luftfahrzeug Motoren GmbH (heute MTU), Airbus und Diehl Defence ihre Werke – Eurofighter Typhoon, Radschützenpanzer Piranha, dazu Großmotoren, Getriebe, Flugzeugfahrwerke und Steuerungssysteme, Feuerleit-, Flug-und Luftraumüberwachungssysteme, Granatwerfer, Lenkwaffen, Munition: es sind schwere Rüstungsgüter, die am Bodensee entwickelt und produziert werden, auch auf Schweizer Seite.
Die meisten der ansässigen Firmen sind im zivilen wie auch im militärischen Geschäft tätig. Sie geben rund 10.000 Menschen in der Region Arbeit, zahlen Millionen Euro an Gewerbesteuer, unterstützen Sportvereine, finanzieren Kindergärten und geben Geld für Schulen, Universitäten und Musikorchester. Doch spricht man die Menschen am Bodensee auf die Bedeutung der Waffenindustrie für ihr Leben an, weisen viele von ihnen diese von sich, ganz so, als wollten sie die dunkle Seite des idyllischen Bodensees nicht wahrhaben.
Vermeiden ist hier die Hauptsache; andere verantwortlich machen; die Wahrheit leugnen; eine möglichst große Distanz zwischen sich und den Kriegen in der Welt herzustellen, darin sind viele Menschen an der B 31 geübt.

I. Die Vermeider

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Waffenbauer am Bodensee: Das Diehl-Werk, im Vordergrund, bei Nacht

Am östlichen Ortsausgang von Überlingen thront auf einem Hügel das Werksgelände von Diehl Defence. Hier hat das Unternehmen seinen Haupsitz. Eingerahmt von Feldern auf der einen und Einfamilienhäusern mit Seezugang auf der anderen Seite steht hier eine der größten Waffenfirmen des Bodenseekreises. Das Areal ist mit Eisenzäunen gesichert. Aus dem Gebäude genießen die Mitarbeiter den unverstellten Blick auf den See bis hinüber nach Konstanz. Segelboote und Kirchtürme wirken von hier aus, als hätten Modellbauer Spielzeug aufgestellt. Diehl Defence sei ein Glücksfall für Überlingen, hat der Stadtrat Raimund Wilhelmi (FDP) einmal anlässlich einer Feier gesagt. Das denken viele Menschen in der Stadt.
Der bekannte Rüstungsgegner Jürgen Grässlin hingegen bezeichnet die Firma in seinem „Schwarzbuch Waffenhandel“ als das – nach der Pistolenschmiede Heckler & Koch in Oberndorf am Neckar – „zweittödlichste Unternehmen Deutschlands“. Neben Mittel-und Großkalibermunition und einer breiten Palette an Handgranaten stellt Diehl Defence auch Zünder her. Grässlin beziffert die Jahresproduktion auf eine Million Stück, sie sei vor allem an die US Army ausgeliefert und in den Kriegen im Irak und Afghanistan eingesetzt worden. „Die Zahl der Opfer durch Diehl-Produkte muss exorbitant hoch sein“, sagt er.
Bekannt wurde Diehl durch den Bau von Raketen. Im Jahr 2010 feierte das Unternehmen mit einem opulenten Empfang „50 Jahre Lenkflugkörper“. Den Gästen, darunter langjährige Mitarbeiter, Pensionäre und Angehörige von Luftwaffe und Verteidigungsministerium, wurden Cocktails gereicht, die die Namen der erfolgreichsten Militärprodukte trugen. Dazu gab es in Raketenform gebackenen Kuchen. Später stießen die Gäste noch auf den Produktionsstart der luftgestützten Flugabwehrrakete AIM-Sidewinder im Jahr 1960 an.
Seitdem hat Diehl 35.000 dieser Geschosse in verschiedenen Ausführungen für fast alle Nato-Partner hergestellt. Schätzungen zufolge wurden mit der Sidewinder bis heute mehr Flugzeuge abgeschossen als mit jeder anderen Rakete. Sie kam unter anderem in Vietnam, auf den Falklandinseln und im ersten Irakkrieg zum Einsatz. In Kooperation mit dem US-Unternehmen Raytheon Missile Systems wird die Erweiterung AIM-9L bis heute am Bodensee hergestellt. Unter den verschlossenen Waffenbauern gilt der Diehl-Chef Claus Günther als vergleichsweise kommunikativ. Vor zwei Jahren wagte er sich am Bodensee mit Rüstungsgegnern, Kirchenvertretern und Politikern auf ein Podium, um über Waffenproduktion zu diskutieren. Doch eine Interviewanfrage des Greenpeace Magazins sagt die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit ohne Begründung ab. Daher beschließen wir, das Unternehmen unangekündigt zu besuchen.
Doch auch das scheitert: Die Presseabteilung sei zu Tisch, sagen die Männer am Empfang. Unsere persönlichen Daten, Namen und Ausweisnummern werden registriert. Für zwölf Monate. „Aus Sicherheitsgründen“, heißt es. Wir entscheiden uns, auf dem Besucherparkplatz zu warten, während sich im gegenüberliegenden Glashäuschen des Werkschutzes immer mehr Mitarbeiter versammeln und uns beobachten. Dann kommt die Polizei. Drei Beamte mit schusssicheren Westen steigen aus den Streifenwagen und überprüfen erneut unsere Personalien.
Nach einer weiteren Viertelstunde Wartezeit bekommt das Waffenunternehmen doch noch ein Gesicht. Paul Sonnenschein betritt den Glaskasten, in den wir inzwischen zurückgekehrt sind. Der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit hat struppiges graues Haar und einen Schnauzer. Auf den Polizeieinsatz angesprochen, entschuldigt er sich für den Eifer des Werkschutzes. „Die Mitarbeiter fühlen sich dem Unternehmen eben sehr verbunden“, sagt er. Neben der Fertigung der Raketen sei die Entwicklungsabteilung der Stolz der Firma: Ganze zehn Jahre lang etwa haben die Forscher an der Fortentwicklung der Sidewinder gearbeitet und schließlich 2005 die IRIS-T vorgestellt, eine der fortschrittlichsten Kurzstreckenraketen der Welt. Sie ist die Standardbewaffnug für die Kampfflieger Eurofighter, Tornado, F-16 und F-18. Piloten können damit Ziele in ihrem Rücken beschießen, ohne sich in frontale Position zum Abschussobjekt bringen zu müssen. Potenzielle Käufer dafür akquiriere Diehl auf der Waffenmesse Eurosatory in Paris oder auf der Idex in den Vereinigten Arabischen Emiraten, sagt Sonnenschein. Die Royal Saudi Air Force etwa entschied sich 2009 für die IRIS und soll bis zu 1400 Einheiten geordert haben. In den vergangenen Jahren eröffnete Diehl Defence Dependancen in Bangkok, Abu Dhabi, Ankara und in Neu-Delhi, nur zwölf Gehminuten entfernt vom indischen Verteidigungsministerium. Ein deutscher Generalleutnant der Luftwaffe äußerte einmal gegenüber Diehl, dass er hoffe, nie in die Situation zu kommen, einem mit den IRIS-Raketen ausgerüsteten feindlichen Kampfflugzeug zu begegnen.
Nimmt Sonnenschein die Sorgen des Militärs ernst?
„Natürlich möchten wir nicht, dass es zu so etwas kommt. Aber wir vertrauen auf die Expertise des Wirtschaftsministeriums, das entscheidet, an welche Länder geliefert werden darf,“ sagt er.
Ist es denkbar, freiwillig auf Exporte, beispielsweise nach Saudi-Arabien zu verzichten?
„Denkbar ist alles. Aber dafür sehen wir keinen Anlass.“
Könnte ein Anlass dafür nicht die repressive Monarchie der Saudis und der Einmarsch in Bahrain im Jahr 2011 sein?
„Das kann die Bundesregierung besser beurteilen als wir.“
Kann er Vertrauen darin haben, dass die Waffen bleiben, wohin sie geliefert werden?
„Das gewährleistet das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle.“
Doch eine Nachfrage des Greenpeace Magazins bei der Behörde in Eschborn ergibt: Eine eigene Fachabteilung für die sogenannte Endverbleibskontrolle gibt es dort gar nicht. Ob einmal ausgelieferte Waffen dauerhaft im Empfängerland bleiben, prüft dort niemand systematisch.

II. Die Unschuldige

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Bürgermeisterin Sabine Becker: Soldaten
nicht mit Steinschleudern ausrüsten

Im Überlinger Rathaus begegnet Sabine Becker unbequemen Fragen zur ansässigen Waffenindustrie mit der für eine Frau in ihrer Position nötigen Distanz: „Nicht unsere Bewohner sind verantwortlich dafür, was Diehl baut und exportiert. Es ist die Bundesregierung“, sagt Becker. Außerdem baue das Unternehmen ja Waffen rein zur Verteidigung.
Vor zehn Jahren übernahm die 48-jährige Oberbürgermeisterin das erste Amt im benachbarten Meersburg. Damals war sie die erste Frau, die im Bodenseekreis Bürgermeisterin wurde. Heute regiert sie mit Überlingen einen verkehrsberuhigten 25.000-Seelen-Ort, in dessen Straßen die Fahrradfahrer einen Helm tragen, obwohl es wahrscheinlicher scheint, hier von einem Blitz getroffen als von einem Auto überfahren zu werden. Nichts im Leben dieser Stadt funkt, brodelt, kocht oder sprüht: Die Straßen sind sauber, die Grasflächen in den Vorgärten akkurat, die Menschen höflich. Wenn an Sonntagen um 10 Uhr 45 die Glocken der St.-Nikolaus-Kirche läuten, strömen viele Überlinger in die Messe. Doch am Montag schon bauen viele derselben Menschen bei Diehl Defence Maschinen, die den Tod bringen. 1300 Überlinger arbeiten bei dem Waffenunternehmen, davon 900 in der Produktion von Rüstungsgütern.
An der Wand von Beckers Büros hängt ein schweres Jesuskreuz, das Becker von ihrem Amtsvorgänger übernommen hat. Sie ist evangelisch. Sie kann als Bürgermeisterin nicht ändern, dass in ihrer Stadt eine Rüstungsfirma sitzt, sagt sie. Viele Menschen in der Region seien auch überzeigte Pazifisten. Aber man könne nicht von ihnen erwarten, dass sie ständig gegen eine Institution wie Diehl demonstrieren, die es in der Region seit Generationen gibt. „Wir können unsere Soldaten nicht mit Steinschleudern ausrüsten, wenn sie von der Bundesregierung in ein Krisengebiet entsandt werden“, sagt Becker. Immerhin aber sei die Abhängigkeit Überlingens von der Waffenindustrie lange nicht so groß wie die anderer Städte in der Region.

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Als Urlaubsziel berühmt: Die Idylle am Bodensee

III. Der Träumer

Wer den Einfluss der Rüstungsfirmen am Bodensee verstehen will, muss Friedrichshafen besuchen. Auf dem Weg von Überlingen in die „Zeppelinstadt“ füllen üppige Reben die Hänge entlang der B31. Ist die Bundesstraße die Lebensader, so ist Friedrichshafen die Urzelle des Waffenclusters: In der Manzeller Bucht begann Ferdinand Graf von Zeppelin mit dem Bau seines ersten Starrluftschiffes. Am 2. Juli 1900 hob das LZ 1 zu seinem Jungfernflug ab. Im Laufe der Jahre boomte der Bau der Zeppeline. Firmen siedelten sich an, darunter die Zahnradfabrik ZF, MTU und die Flugzeugwerke Dornier, deren Chef, der Franzose Claude Dornier, ein enger Mitarbeiter Zeppelins war. Von Anfang an spielten Aufträge des Militärs eine wichtige Rolle beim Aufbau der neuen Werke.
In Friedrichshafen gibt es nach Graf Zeppelin benannte Straßen, Plätze, auch eine Zeppelin-Universität, und sogar eine Zeppelin-Stiftung, die Wissenschaft und Forschung finanziert, die örtlichen Sportvereine fördert und das öffentliche Gesundheitswesen unterstützt. Nach dem Grafen werden zudem Museen, Restaurants und Spelunken genannt, in denen man Bier der Marke „Zeppelin“ eingeschenkt bekommt. Der Slogan des Biers: „So schmeckt Geschichte“.
Kurz vor Friedrichshafen liegt das Schankhaus „Graf Zeppelin“. „Der Geist des Grafen lebt weiter, er ist hier immer noch ein guter Werbeträger“, findet die Wirtin. Am ovalen Tresen sitzen elf halbalkoholisierte Gäste. Es wird Kette geraucht und getrunken, viel getrunken, es gibt Apfelkirschmost, Bier und Schnaps. Es ist später Nachmittag, der Fernseher in der einen Ecke zeigt ein Spiel der Fußball-Bundesliga, draußen regnet es, während in dem Glückspielautomaten in der anderen Ecke Kirschen, Äpfel und Zitronen zu keinem Dreier zusammenfinden wollen.
Hartwig, 53, sitzt am Tresen. Er trägt seine Haare vorne kurz, hinten lang und hat ein großes, goldenes Kruzifix um den Hals. Er sei Katholik, sagt er, wie die meisten Leute in der Gegend. Von Beruf ist er Maschinenschlosser. Seine blondierte Ehefrau Gina raucht Kette, Route-66-Zigarillos, während Hartwig von seiner verpassten Lebenschance berichtet: Bis heute bedauert er, nie den Sprung zu MTU geschafft zu haben, obwohl er dort zwei Jahre als Leiharbeiter in der Abteilung Automobilmotoren gearbeitet hat. „Wäre ich bei MTU, ich hät¬te heute schon lange ausgesorgt“, sagt er. Wer dort beschäftigt sei, müsse nie um seinen Job fürchten und genieße ein hohes Ansehen unter Nachbarn und Freunden. Obwohl alle wüssten, dass dort Waffen produziert werden? „Ja, klar. Alle wissen es, aber alle schweigen und sind froh über die Jobs und das Geld.“ Niemand lasse sich für etwas ans Kreuz nageln, was er nicht zu verantworten habe, sagt Hartwig.

IV. Die Abtaucher

So fest wie MTU in der Region verankert ist, so zugeknöpft ist es auch. Werksführungen gibt es nicht. Nur Kunden bekommen Zugang zum Unternehmen. Insgesamt zehn Rüstungsbetriebe im deutschen und schweizerischen Teil der Bodenseeregion hat das Greenpeace Magazin um einen Besuch oder ein Gespräch gebeten. Bis auf eine Ausnahme gibt es keine Zusage. Nur Zeppelin Mobile Systeme (ZMS) steht für ein Treffen zur Verfügung. „Urlaub“, „keine Zeit“, „wir sprechen nur mit Fachmedien“. Das sind die gängigen Entschuldigungen. Die Presseabteilung der Firma Swiss Arms, die in Neuhausen am Rheinfall Sturmgewehre und Pistolen herstellt, begründet ihre Absage immerhin ehrlich mit der aktuellen Situation: Swiss Arms ist eine Schwesterfirma der Pistolenschmiede Sig Sauer, die in Eckernförde sitzt. Im Sommer wurde bekannt, dass das Unternehmen über Umwege Waffen an Kolumbien geliefert, so ein deutsches Exportverbot umgangen und die Aufsichtsbehörde getäuscht hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Sig Sauer hat in einer Presseerklärung volle Unterstützung bei der Aufklärung zugesichert. Man fürchtet weitere negative Presse. Auch MTU ist von der politischen Lage in Berlin und der Welt betroffen. Nur sagt das hier niemand öffentlich.
MTU ist einer der größten Hersteller von Schiffsantrieben. Nach einer Studie der Initiative „Ohne Rüstung Leben“ stecken MTU-Motoren in Patrouillenschiffen, Fregatten und Zerstörern in Ägypten, Bahrain, Iran, Kasachstan, Saudi-Arabien, Sudan und Katar. MTU ist außerdem Weltmarktführer bei konventionellen U-Boot-Motoren und verkauft seine Produkte an Südkorea, China, Griechenland und die Türkei. Selbst Marineeinheiten verfeindeter Staaten, wie Indien und Pakistan, die seit Jahren miteinander wettrüsten, erhalten Motoren von MTU. An solchen Konflikten verdient die Firma doppelt. Besonders umstritten sind die Antriebe für die israelischen U-Boote der Dolphin-Klasse, die mit atomwaffenfähigen Marschflugkörpern bestückt werden können. Doch die militärische Eskalation in der Ukraine könnte die Exporte aus Friedrichshafen nun bremsen: Aus Aufsichtsratskreisen erfuhr das Greenpeace Magazin Ende August, dass 20 Schiffsmotoren für Korvetten nicht ausgeliefert werden. Sie waren für die russische Marine bestimmt. Die Unternehmensführung wollte sich dazu nicht äußern.
Vor wenigen Monaten kündigte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) an, Lieferungen von Kriegsmaterial in alle Welt strenger zu prüfen. 20 Betriebsräte schrieben dem „lieben Sigmar“ daraufhin einen Brief. 80.000 Arbeitsplätze seien in Gefahr, protestierten sie. Weil Bundeswehr und Nato-Staaten nicht mehr so viel Kriegsmaterial wie in den letzten Jahrzehnten ordern, sei der Waffenexport in Staaten außerhalb des Bündnisses überlebenswichtig für die Firmen.
Inzwischen macht sich auch bei MTU Unbehagen breit: In einer Aufsichtsratssitzung – das berichtet ein Teilnehmer, der anonym bleiben möchte – wurde kürzlich angeregt, die Sicherheitsmaßnahmen am Werk in Friedrichshafen zu überdenken. Seit der jüngsten Gaza-Offensive seien fast täglich die eigenen Produkte im Fernsehen zu sehen – etwa Merkava-Panzer, die das israelische Militär an den Grenzen zum Gazastreifen auffuhr und die mit MTU-Motoren angetrieben werden. Im Aufsichtsrat befürchtet man Demonstrationen und Terroranschläge.
Die gleichen Panzer kamen 2009 auch bei der Intervention in Gaza zum Einsatz und im Libanonkrieg 2006. Für diese Fahrzeuge liefert MTU Motoren, außerdem Antriebe für einen Großteil des Bundeswehrfuhrparks, die Kampfpanzer Leopard I und II von Krauss-Maffei Wegmann (KMW) und den Hauptkampfpanzer Arjun der indischen Streitkräfte. Doch statt sich den Fragen zu stellen, taucht MTU ab.

V. Der Überzeugungstäter

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Lothar Höfler: Früher Waffenschmied, heute Antirüstungsaktivist

„Am Bodensee spielen Politik und Kirche die narkotisierende Unterhaltungsmusik, damit die Rüstungsfirmen ungestört ihren Geschäften nachgehen können“, sagt Lothar Höfler, 73. Die Waffenunternehmen geben den Leuten Arbeit, fördern Universitäten und bringen mit diesem sozialen Kitt Protest zum Schweigen. „Selbst pazifistische Priester“, sagt er, „wagen es in ihren Predigten nicht, die Rüstungsunternehmen zu kritisieren, weil sie fürchten, dass die Beschäftigten der Kirche fernbleiben.“
Höfler lebt in Lindau. Waffentechnologie übte auf ihn als Maschinenbauer früher eine starke Faszination aus. In den 70er-Jahren hat er für die Rüstungssparte von Liebherr gearbeitet. Liebherr Aerospace baut heute Komponenten für Rüstungsprodukte wie den Militärtransporter A400M und den Eurofighter. Arbeit zu haben, Teil der erwerbstätigen Gesellschaft zu sein, das war Höfler wichtig. Er war damals ein Pflichtmensch. Doch der Nato-Doppelbeschluss von 1979, durch den die US-Atomraketen Pershing II in Deutschland stationiert wurden, löste ein Umdenken bei ihm aus: 1987 kündigte er bei Liebherr und machte sich selbständig. „Den inneren Konflikt anzuerkennen und sich ihm zu stellen – das trauen sich hier nicht viele“, sagt Höfler. Feigheit sei am Bodensee eine verbreitete Eigenschaft. Doch wer wie er auf das Geld der Arbeitgeber am See nicht angewiesen ist, dem geht Kritik deutlich leichter über die Lippen: Inzwischen ist er Vorsitzender des Aktivistennetzwerks „Waffen am Bodensee“, das die Konversion der Rüstungsschmieden zu zivilen Unternehmen anstrebt. Viele Unterstützer habe seine Gruppe nicht: Zu den Kundgebungen kommen nicht mehr als ein paar hundert Leute.

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Graf Zeppelin zum Bier in der Kneipe,
Flugzeugmodelle zum Kaffee im Garten

VI. Der Schönredner

In einem kritischen Bericht führt Höflers Internetseite auch den Arbeitgeber von Alexander Lutz auf, was den Vertriebsleiter von Zeppelin Mobile Systeme (ZMS) empört, weil er findet, dass seine Firma kein Waffenunternehmen ist. ZMS fertigt in der Nähe von Friedrichshafen sogenannte Shelter, mobile Unterbringungssysteme so groß wie Schiffscontainer, in die medizinisches Gerät und ganze Lazarette eingebaut werden können.
Von den zehn angefragten Unternehmen ist ZMS das einzige, das uns einen Einblick in sein Innenleben ermöglicht. Der Vertriebsleiter führt durch die Fertigungshalle, wo gerade zwölf Krankenstationen zur Montage stehen. „Die sechs sandfarbenen liefern wir an die Vereinigten Arabischen Emirate“, sagt Lutz. Die grünen gehen an die Bundeswehr und einen Kunden in Kasachstan. Der Vertriebsleiter ist etwa eine Woche pro Monat selbst beruflich im arabischen Raum, auch in Bagdad und der kurdischen Provinzhauptstadt Erbil. „Bei der aktuellen Krisenlage in der Welt könnten wir rund um die Uhr produzieren“, sagt Lutz. Zu den Hauptkunden gehören Militärs aus der ganzen Welt. Für humanitäre Organisationen seien die „High-End-Produkte von Zeppelin“, wie Lutz betont, aber oft zu teuer. In der Fertigungshalle demonstriert Lutz die einzelnen Fertigungsschritte. ZMS halte sich daran, was das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle erlaube. Doch mitunter änderten sich die geopolitischen Einschätzungen eben sehr schnell. Er sagt: „Was heute ein befreundeter Staat ist, kann morgen ein Schurkenstaat sein und umgekehrt.“ Wenn man danach gehen wolle, könne man fast nirgendwohin mehr liefern. „Aber zum Glück ist das bei uns sowieso nicht so ein Thema, wir produzieren ja keine Waffen“, sagt Lutz. Zeppelin Mobile Systeme sei ein Logistikunternehmen und baue Krankenhäuser, mit denen Menschen geholfen werden könne.
Dabei blendet er aus, dass ZMS auch Shelter für militärische Einsätze liefert, beispielsweise für das Satellitenkommunikationssystem SatcomBw der Bundeswehr, das Luftabwehrradar LANZA der spanischen Firma Indra Sistemas und das Überwachungs-und Zielerfassungssystem TRML-3D von Airbus. Ein solches Shelter steht gerade aufgebockt zur Instandsetzung in einer Werkshalle. Es ist in Tarnfarben angestrichen. Lutz findet plötzlich, dass wir uns eine Spur zu viel für diesen Container interessieren. „Ich möchte noch einmal betonen, dass wir uns in keinerlei Verbindung zu Waffensystemen sehen“, sagt er, obwohl es vor allem Armeen sind, die seine Auftragsbücher füllen. Sein Arbeitgeber sei nicht Teil der Waffenindustrie, und auch was die Lieferung von Kommunikations-und Gefechtsständen angehe, baue Zeppelin ja nur die Hülle, sagt Lutz.

VII. Der Bekehrte

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Heinz Friedrich: Gehirnwäsche
funktionierte bei ihm nicht mehr

Heinz Friedrich kennt diese Argumentation aus Zeiten, als er berufstätig war. „Wir bauen nicht die Waffe, wir transportieren sie nur.“ Schon die Dornier-Geschäftsführung habe sich damit herausgeredet. Der heute 90-jährige Ingenieur war ab 1964 für den Flugzeug-und Waffenbauer aus Friedrichshafen tätig. Heute lebt Friedrich in einem Reihenhaus in Immenstaad. Seine Frau serviert im Garten Kaffee und Fruchttörtchen. Er hat ein Flugzeugmodell auf den Tisch gelegt, den Jagdbomber Alpha Jet, an dem er in den 70er-Jahren mitgearbeitet hat. Alle bei Dornier hätten damals verdrängt, dass man für einen Waffenbauer arbeite, erinnert er sich. „Die internen Sprachregelungen waren derart weichgespült, dass sie uns glauben machten, grundanständige Arbeit zu tun.“ Bomben wurden „Nutzlasten“ genannt und Menschen waren „Weichziele“. „Fragen der Moral habe ich mir bis dahin niemals gestellt. Und wären diese Fragen irgendwann aufgekommen, ich und auch meine Kollegen hätten sie verdrängt“, sagt er heute.
Wer an der Waffe arbeitet, trennt zwischen Treibsatz und Sprengsatz, und so kann jeder, der an der Rüstungsproduktion beteiligt ist, immer weiter unterteilen, bis der eigene Anteil am Waffengeschäft einwandfrei ist. So waschen sich die an der Rüstungsproduktion beteiligten Einwohner der Bodenseeregion ihre Weste weiß, sagt Friedrich.
Irgendwann aber hatte er genug davon. Als die Gehirnwäsche bei ihm nicht mehr funktionierte, begann er die Dinge beim Namen zu nennen und die Werksführung für die Heuchelei zu kritisieren. Inzwischen ist Friedrich Laienprediger geworden. Er sagt, christliche Moral spiele hier in der Waffenindustrie am Bodensee aber keine große Rolle. Die Sache müsse sich rechnen. Und sie rechnet sich gut für alle Beteiligten.

zeppelin 2
Zeppelin allerorten: Einmal stündlich fliegt
ein Flugschiff über Bodensee und Weinreben

RÜSTUNG AM BODENSEE
Übersicht über die im Länderdreieck angesiedelten Waffenunternehmen

Rheinmetall Soldier Electronics GmbH
Stockach

Mit Rüstungsprodukten erwirtschaftete Rheinmetall im vergangenen Jahr 2,15 Milliarden Euro Umsatz. Die rund 100 Mitarbeiter am Standort Stockach stellen Ausrüstung für Bundeswehrsoldaten, Zielidentifikationssysteme und Laser her.

ATM Computersysteme GmbH
Konstanz
Die Tochterfirma der deutschen Panzerschmiede Krauss-Maffei Wegmann (KMW) stellt in Konstanz mit rund 100 Mitarbeitern IT-Lösungen für Aufklärungs-, Führungs- und Waffeneinsatzsysteme bereit.

SAN Swiss Arms AG
Neuhausen am Rheinfall/Schweiz
Dieses Unternehmen stellt das Standardgewehr der Schweizer Armee SG 550 und das von der deutschen Spezialeinheit GSG9 verwendete SG 551 her. Die Firma gehört zusammen mit dem deutschen Unternehmen Sig Sauer aus Eckernförde zur Holding L&O. Laut Medienberichten soll im Februar 2014 jedem zweiten der 34 Mitarbeiter im schweizerischen Neuhausen gekündigt worden sein. Ein Grund seien die Turbulenzen um die Ermittlungen bei Sig Sauer wegen illegaler Waffenexporte.

Diehl Gruppe
Überlingen

Gleich zwei zum Diehl-Konzern gehörende Unternehmen haben in Überlingen einen Standort: Die auf Komponenten für die Kampfflieger Eurofighter und Tornado konzentrierte Diehl Aerospace GmbH mit 350 Mitarbeitern und die Diehl BGT Defence Gmbh & Co. KG. Die 1630 Mitarbeiter an fünf Standorten erwirtschaften 420  Millionen Euro Umsatz im Jahr. Die Defence-Sparte stellt Lenkflugkörper sowie Mittel- und Großkalibermunition her, darunter die Raketen Sidewinder, IRIS-T, Spike, die Handgranaten DM51, DM58, DM61, DM78, Artilleriemunition des Typs SMArt 155 sowie Laufwerkkomponenten für Fahrzeuge.

Mowag
Kreuzlingen/Schweiz

General Dynamics ist der fünftgrößte Rüstungskonzern der Welt. Die Firma Mowag im schweizerischen Kreuzlingen gehört zur Gruppe General Dynamics European Land Systems, einer Tochterfirma des US-Riesen. In Kreuzlingen und an acht weiteren Stand-orten sind 2150 Mitarbeiter mit der Produktion von Radpanzern wie DURO, EAGLE und PIRANHA, Schützenpanzern wie ASCOD und SK 105 sowie Haubitzen des Typs SIAG und 155/52 SPH Donar beschäftigt. Das Unternehmen stellt außerdem verschiedene Artillerie und Panzerabwehrmunition her.

Airbus Defence & Space
Immenstaad

Anfang des Jahres wurden die Unternehmen Cassidian, Astrium und Airbus Military unter dem Dach des Airbus-Konzerns zur Sparte Airbus Defence & Space verschmolzen. Sowohl Cassidian als auch Astrium haben eine Niederlassung in Immenstaad und beschäftigen dort zusammen rund 2500 Mitarbeiter. Weltweit tragen beide Firmen mit mehr als elf Milliarden Euro zum Umsatz von Airbus Defence & Space bei. Astrium stellt unter anderem das militärische Satellitenkommunikationssystem SATCOMBw für Auslandseinsätze der Bundeswehr her. Cassidian hat Radartechnik, Anlagen zur Grenzüberwachung, taktische Operationszentralen, Avionik für den Transporter A400M und Lenkflugkörper im Programm. Darüber hinaus ist es an den Kampffliegern Eurofighter Typhoon und an der Entwicklung der europäischen Langstreckendrohne MALE beteiligt.

STI Group
Steinach/Schweiz

Die Firma hat sich im Rüstungsgeschäft eine international anerkannte Nische geschaffen: Nach eigenen Angaben ist das Unternehmen mit Sitz im schweizerischen Steinach weltweit Marktführer bei der Innenverchromung von Geschützrohren. An acht Standorten arbeiten die 550 Mitarbeiter aber vor allem an zivilen Großanlagen und erwirtschaften einen Umsatz von 53 Millionen Euro.

Zeppelin Mobile Systeme
Meckenbeuren

Das Unternehmen Luftschiffbau Zeppelin GmbH wurde 1908 von Ferdinand Graf von Zeppelin gegründet und existiert bis heute. Ein Ableger des Traditionskonzerns ist die Zeppelin Mobile Systeme mit Sitz in Meckenbeuren. Sie produziert unter anderem mobile Krankenhäuser, Kommandozentralen und Fernmeldekabinen. Die Käufer kommen aus Europa, Afrika, dem Mittleren Osten und Asien

MTU
Friedrichshafen

In den Panzern Leopard I, II, Puma, Leclerc Tropicalisé und in Artilleriefahrzeugen wie der Panzerhaubitze 2000 sowie in diversen Korvetten, Zerstörern und Fregatten in aller Welt stecken Motoren der inzwischen zur Rolls Royce Systems AG gehörenden Firma MTU mit Sitz in Friedrichshafen. Auch von der Kieler HDW-Werft hergestellte U-Boote fahren mit MTU-Antrieb. Darunter befinden sich auch die nach Israel exportierten U-Boote der Dolphin-Klasse, die dort mit atomaren Marschflugkörpern bestückt werden könnten. MTU-Motoren enthält auch die U-Boot-Klasse 214, die von Griechenland, Südkorea, der Türkei und Portugal genutzt wird. Der Konzern beschäftigt 10.500 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von drei Milliarden Euro.

LIEBHERR AEROSPACE
Lindenberg

Das für die Herstellung von Baggern und Kühlschränken bekannte Unternehmen Liebherr fertigt in der Sparte Aerospace auch Komponenten für Rüstungsprodukte, etwa für den Militärtransporter A400M und den Eurofighter. Zu den Kunden zählen Airbus, Eurocopter und die Israel Aircraft Industries (IAI).

DEUTSCHLANDS GRÖSSTE WAFFENFIRMEN
1_ Airbus Group

Beschäftigte: 140.000
Umsatz mit Rüstung: 11,5 Milliarden Euro
Anteil am Gesamtumsatz: 21 %

2_ Rheinmetall
Beschäftigte: 21.767
Umsatz mit Rüstung: 2,2 Milliarden Euro
Anteil am Gesamtumsatz: 50 %

3_ Thyssen Krupp
Beschäftigte: 176.961
Umsatz mit Rüstung: 1,1 Milliarden Euro
Anteil am Gesamtumsatz: 3 %

4_ Diehl
Beschäftigte: 14.369
Umsatz mit Rüstung: 897 Millionen Euro
Anteil am Gesamtumsatz: 33 %

5_ Krauss-Maffei Wegmann (KMW)
Beschäftigte: 2590
Umsatz mit Rüstung: 732 Millionen Euro
Anteil am Gesamtumsatz: 95 %

Weitere große Waffenfirmen in Deutschland sind:
MTU Aero Engines
8541 Beschäftigte, Umsatz mit Rüstung: 503 Millionen Euro
Tognum Group
10.479 Beschäftigte, Umsatz mit Rüstung: 140 Millionen Euro
Heckler & Koch
600 Beschäftigte, Umsatz mit Rüstung: 118 Millionen Euro

DIGITALE WAFFEN
„Autoritäre Regime unterdrücken ihre Bevölkerung schon lange nicht mehr nur mit Panzern und Maschinengewehren“, sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im Mai. Im digitalen Zeitalter könnten auch Internet-Überwachungstechnologien zur Repression eingesetzt werden. Gelangen diese Instrumente zum Mitschnitt von E-Mails, Skype-Gesprächen und Mobilfunk in die Hände von Diktatoren, sind die Folgen für Regimegegner dramatisch. Deutsche und europäische Firmen belieferten in der Vergangenheit fragwürdige Staaten mit solchen Systemen: Der Firma Gamma in München etwa wird vorgeworfen, Spähprogramme an Bahrain, Katar, Turkmenistan und die Vereinigten Arabischen Emirate verkauft zu haben. Die Aachener Firma Utimaco soll Syrien beliefert haben. Gabriel kündigte Mitte des Jahres an, den Export solcher Instrumente in Länder mit zweifelhafter Menschenrechtslage zu untersagen. Die EU will bestimmte Technologien bis Ende 2014 in die Dual-Use-Verordnung aufnehmen. Sie regelt den Export von Gütern, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden. Einige Überwachungssysteme stehen bereits auf der Liste des internationalen Wassenaar-Abkommens, das den Export von konventionellen Waffen und Dual-Use-Produkten regelt.