Ein Salzstock für die Kunst

Uwe Bremer, 70, ist Maler, Grafiker, Dichter. Er lebt seit 40 Jahren im Wendland. Als Künstler hat er sich in der langen Zeit, in der er hier wohnt, immer mit Protest zurückgehalten, erinnert er sich. Als Bewohner des Wendlands nicht. Ein Protokoll, aufgezeichnet nach einem Gespräch im Sommer 2010.

Uwe Bremer
Uwe Bremer auf seinem Hof bei Gorleben.
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oto: Christian Grund, http://www.christiangrund.ch

“In meiner künstlerischen Arbeit habe ich mich so gut wie gar nicht mit dem wendländische Widerstand beschäftigt. Als politischer Mensch aber sage ich: Ich bin gegen Castortransporte und gegen das Zwischen- und Endlager in Gorleben. Der Salzstock eignet sich perfekt für eine andere Nutzung. Aber dazu später mehr.

Als ich mit meiner Ehefrau zum ersten Mal 1970 aus Berlin ins Wendland kam, suchten wir ein Feriendomizil. Damals existierte noch die DDR. Wollten wir also aus Westberlin aufs Land fahren, mussten wir durch Ostdeutschland hindurch in die BRD reisen. Das östliche Wendland ragte sackartig in die DDR hinein und war für uns schnell erreichbar. Es erschien uns sinnvoll genau hier ein Häuschen zu kaufen. Als unser Sohn später eingeschult werden sollte, zogen wir endgültig von Berlin ins Wendland.

Damals existierten noch keine Atomkraftwerke in Deutschland und Gorleben war ein verschlafenes Nest. Viele unserer Freunde, die bloß kamen, um unser Haus zu besichtigen, entschlossen sich bald ebenfalls hier zu leben: die Schriftsteller Nicolas Born, Hans-Christoph Buch und Marie-Louise Scherer, die Journalisten Kai Hermann und Heiko Gebhardt – auch die Künstler Albert Schindehütte, Johannes Vennekamp und Arno Waldschmidt, mit denen ich schon in Berlin die Rixdorfer Druckwerkstatt betrieben hatte. Wir waren damals mit Rudi Dutschke und Wolfgang Neuss befreundet und spielten mit ihnen in einer Fußballmannschaft, die sich „Balltreter Rixdorfer & Co.” nannte. Die Rixdorfer Werkstatt haben wir später auf meinen Wendländer Hof verlegt.

Damals war Willy Brandt Bundeskanzler. Mit dem Plan der Regierung, ein Atomkraftwerk in Langendorf an der Elbe zu bauen, formierte sich die Keimzelle der heutigen Protestbewegung. Das war 1973. Das Kraftwerk wurde später verworfen und Gorleben als Endlagerstätte ins Spiel gebracht. Ich war damals kein Überzeugungstäter: Ich wäre nie nach Bayern gefahren um dort gegen ein geplantes Atomkraftwerk zu protestieren. Wenn man aber wie ich mit seiner Familie von der Stadt aufs Land zieht, ist es keine angenehme Vorstellung, dass einem neben seinem gerade gekauften Haus ein Atomkraftwerk baut oder dort ein Endlager gegraben wird. Wir waren also plötzlich direkt betroffen.

In unserer Gegend ein Atomendlager einzurichten, hielt ich für eine abwegige Idee: Offenbar hat man sich gedacht, bei Westwind würden die Atomausdünstungen in die DDR hinüber ziehen; die Bauern des Wendlands – einem der am dünnsten besiedelten Fleck Deutschlands – würden sicher keinen Aufstand veranstalten, zumal die Bewohner dieses Landstrichs traditionell eher zur konservativen Parteienklientel gehören. So ist vielleicht zu erklären, weshalb sich damals die aus den Städten hinzugezogenen Bewohner des Wendlands damit hervortaten, die restliche Bevölkerung zu mobilisieren.

Erst später ist der Widerstand bis zur ländlichen Urbevölkerung durchgeschlagen. Bauern, Fischer, Pferdzüchter, selbst Polizisten machten mit. Das war nicht unbedingt zu erwarten, denn Künstler wie ich erschienen der ländlichen Bevölkerung eher als rätselhaft und faul. Viele von ihnen glaubten, ich würde nicht arbeiten. Gab es Dinge zu organisieren, die den Protest betrafen, sagten sie: „Komm Uwe, mach’ du das mal. Wir müssen arbeiten.” Auf Politiker reagierten viele zunehmend wütend, auch auf Gerhard Schröder. Als er Vorsitzender der Jusos war, hat er mit seiner damaligen Ehefrau Hillu und deren Kinder bei uns auf dem Hof gelebt. Er war damals sehr mit der Gorleben-Problematik beschäftigt und hat sich für die Leute hier eingesetzt. Später wurde er Ministerpräsident. Eiferer warfen ihm plötzlich vor, im Wendland gelebt zu haben, aber in seinen späteren Ämtern Dinge beschlossen zu haben, die sich von denen unterschieden, die er hier zuvor vertreten hatte.

Wie gesagt, der Salzstock von Gorleben ist nicht geeignet als Endlager. Neueste Studien haben das erneut belegt. Deshalb schlage ich eine andere Verwendung vor: Man sollte ihn zur Errichtung von Kunstkavernen nutzen. Die Bedrohung des Planeten durch Überflutungen, Klimaschwankungen, Meteroiteneinstürze zwingen uns nach einem Ort zu suchen, in dem diese Gefahren in Grenzen gehalten werden. Ich empfehle daher die Lagerung von Kunst im Salzstock von Gorleben. Dafür eignet er sich perfekt: Die Hallen sind hell, sauber, pflegeleicht. Das strahlende Weiß des Steinsalzes ist der perfekte Hintergrund für Bilder. Eigner Graf Bernstorff ist nach eigenem Bekunden bereit, sein Eigentum der Kunst zu opfern.“

http://www.uwe-bremer-art.de