PROPHET DER DÜSTERNIS

Vom Denker zum Macher: Wie der Intellektuelle Harald Welzer mit seiner Stiftung Futurzwei eine neue APO auf die Straße bringen will.

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Harald Welzer in seinem frisch
bezogenen Büro in Berlin.
Foto: Monika Keiler,
http://www.monika-keiler.com

Nichts macht Harald Welzer gern ein Leben lang. Als er noch in Hannover lebte, nutzte er seine Privaträume als Kunstgalerie und arbeitete als Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research in Essen. „Der Spiegel” stellte ihn 2008 in einer Serie über herausragende Wissenschaftler als „produktiven Quergeist” vor. Inzwischen ist dem Sozialpsychologen das Interesse an der Wissenschaft ein wenig abhanden gekommen.

„Experte wird in der Wissenschaft, wer sich Meriten verdient. Damit man Experte bleibt, muss man dann hin und wieder ein Brikett nachlegen”, sagt Welzer. Um zur Koryphäe zu werden, müsse man dies einige Jahre so machen. Sobald der Experte aber zur Koryphäe geworden sei, verteidige er sein wissenschaftliches Territorium und beiße andere Lehrmeinungen weg. Das war ihm schon immer suspekt. „Ich ziehe es vor, mich privat und beruflich nie genau verorten zu lassen”, sagt Welzer. Er stieg aus dem Wissenschaftsbetrieb aus, zog nach Berlin und gründete dort die Stiftung Futurzwei. Sie wird maßgeblich von dem Unternehmerpaar Hanna und Dieter Paulmann finanziert und ist eine sogenannte Verbrauchsstiftung, bei der das Grundstockvermögen sofort verwendet werden kann.

Futurzwei hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Art Think Tank der Ökologiebewegung zu werden. Auf ihrer Internetseite beschreibt die Stiftung, wie grüne Visionen Wirklichkeit werden und einen Gewinn an Lebensqualität bedeuten können. Die Stiftung will Bücher herausgeben, Kongresse veranstalten, Aufbruchstimmung verbreiten und Mut für Veränderungen machen. Futurzwei will Aufbruchstimmung vermitteln und Menschen dazu animieren, neue, ökologischere Lebensweisen zu wagen. Zehn Mitarbeiter nennt die Page als Mitarbeiter, darunter sind Wissenschaftler, Journalisten und PR- und Marketingexperten. Als letzter in der Liste taucht Welzer auf, mit dem kürzesten Eintrag von allen. Darin beschreibt sich der Intellektuelle als „universellen Dilettanten”.

Ein Tisch, ein Stuhl, kein Computer, kein Telefon: das ist Welzers Büro in der Berliner Rosenstraße. „Ich denke gerade darüber nach, zur Berliner Telekom-Zentrale zu laufen, um mich bei Vorstandschef Obermann zu beschweren: Seine Leute bekommen es seit drei Wochen nicht hin, unsere Leitung freizuschalten”, ärgert sich Welzer. Mit seinen dünnen, glatten, nach hinten gekämmten Haaren erinnert er an den Punkrocker Iggy Pop. Als Jugendlicher fühlte sich Welzer in den Endsiebzigern zum politischen Teil der Punkbewegung hingezogen und demonstrierte gegen Atomkraftwerke.

Heute beschreibt er in seinen Büchern und Essays eine durch den weltweiten Run auf Naturressourcen kaputtgewirtschaftete Erde, deren Bewohner jahrzehntelang frivol über ihre Verhältnisse gelebt haben und die jetzige Klimakrise als eine reparable Störung in einem ansonsten intakten System betrachten: solange der eigene Fußballklub gewinnt, die Klamotten bei Kick billig bleiben und die Wirtschaft weiter wächst werden die Folgen des Klimawandels schon nicht so schlimm werden.

„In Wirklichkeit aber ist die Zukunft bedrohlich”, sagt Welzer. Denn obwohl Vertreter von Politik und Wirtschaft immer wieder vorgeben, an einer ökologischeren Welt interessiert zu sein, verlagern dieselben Akteure die Lösungen für die Klimakrise immer weiter auf die Zukunft. Welzer ist nicht so naiv zu glauben, seine kleine Stiftung in Berlin könne diesen globalen Akteuren die Stirn bieten. Futurzwei wolle aber immerhin ein Gegenpol sein zu jenen, die die Zukunft der Jungen zu zerstören versuchen. Auf die „Grünen” allein sollte man sich dabei besser nicht verlassen. Denn ihre Ideen sind endgültig in der Mitte der Gesellschaft angekommen und weisen Verschleißerscheinungen auf: Heute protestiert sogar der Frankfurter Mittelstand gegen den Flughafenausbau. „Vielleicht sollte jemand diesen Leuten aber sagen: Demonstriert nicht gegen den Flughafen”, sagt Welzer. „Demonstriert gegen das Fliegen.”

ZUR PERSON
Harald Welzer, 53, gehört zu den bekanntesten Sozialpsychologen Deutschlands. Als Wissenschaftler untersuchte er Familienerinnerungen an den Nationalsozialismus und Holocaust. Regelmäßig verfasst der Professor Essays in überregionalen Zeitungen und Zeitschriften. Einem breiteren Publikum bekannt wurde Welzer durch Bücher wie „Klimakriege”, in dem er die kulturellen Auswirkungen des Klimawandels beschreibt. In seinem Buch „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten” wirbt er mit Co-Autor Claus Leggewie für die Gründung einer neuen, außerparlamentarischen Opposition. http://www.futurzwei.org