TRISTESSE ROYAL

Von der Förderung und Nutzung zu den Hinterlassenschaften des Erdöls: Edward Burtynsky ist zwölf Jahre um die Welt gereist, um in Hochglanzfotos die traurige Geschichte eines einst hoffnungsvollen Energieträgers festzuhalten. Erschienen im Greenpeace Magazin, 2011.

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Bildband: Edward Burtynsky, Oil, Steidl Verlag, http://www.edwardburtynsky.

Die Idee zu seiner monumentalen Arbeit kam ihm im Jahr 1976. Edward Burtynsky hatte gerade sein Universitätsdiplom erhalten und stieg wenige Tage danach an einem sonnigen Morgen in seinen Volvo, um der Freiheit entgegen zu fahren. Vier Monate lang wollte der Fotograf auf Reisen sein, mit Kamera, Filmen, Landkarten und etwas Geld. Doch schon bald wurde die unbekümmerte Reise zu so etwas wie einem Erweckungserlebnis, denn sie symbolisierte für Burtynsky nicht mehr nur die absolute Freiheit, sondern barg auch Konfliktreiches in sich: Je länger er über die auf vulgäre Weise ausladenden Highways Nordamerikas fuhr, desto mehr wurde ihm bewusst, wie die Ölindustrie der USA Landschaft des Landes verändert hatte. Die Zeit verging, die Idee blieb: 21 Jahre nach jener Autorreise nahm Burtynsky dann seinen opulenten Fotozyklus „Öl” in Angriff.

Burtynsky ist 57 Jahre alt und lebt in Toronto. Mit seinen ukrainischen Eltern kam er 1951 nach Kanada. Sein Vater arbeitete jahrelang bei General Motors am Band. Abends weihte der Hobbyfotograf seinen elfjährigen Sohn Ed in die Geheimnisse der Fotografie ein. Inzwischen finden sich Burtynskys Arbeiten in den Sammlungen der größten Museen der Welt, dem Museum of Modern Art und dem Guggenheim Museum in New York oder der Bibliotèque Nationale in Paris. Weltweit bekannt ist er für seine großformatigen Hochglanzaufnahmen von Industrieanlagen, die er aus der Vogelperspektive schießt. Seine Bildsprache steht der von Bernd und Hilla Becher sehr nahe. Das Ehepaar bildete heute weltberühmte Fotografen aus wie Andreas Gursky, Thomas Struth und Thomas Ruff. Doch während etwa Gurskys bekannteste Arbeiten die konsumistischen Oberflächen moderner Gesellschaften zeigen, schaltet Burtynsky eher den Röntgenblick ein.

„Die Explosion der Erdbevölkerung”, hat Burtynsky 2011 in einem Vortrag einmal gesagt, „steht in Zusammenhang mit der Entdeckung des Erdöls: Ohne Erdöl wäre der weltweite Transport von Nahrungsmitteln, Medikamenten und Kleidung nicht möglich. Und ohne Öl sähen viele Landschaften nicht so aus, wie sie aussehen.” Um die Veränderung des Planeten durch das Erdöl zu zeigen, reiste Burtynsky zwölf Jahre lang durch die USA, Kanada, Aserbaidschan, Bangladesh und China und suchte Knotenpunkte der Ölwirtschaft auf. Er fotografierte Bohrtürme, Pipelines, Raffinerien, Tankstellen, Supertanker, Reifenberge, Autobahnkreuze und Schrotthalden.

Burtynskys Fotografie bedarf dabei großer logistischer Vorarbeit: Regierungen müssen um Erlaubnis gebeten, Industrieunternehmen angeschrieben, Beamte in Behörden überzeugt, Polizei und Sicherheitsdienste um Erlaubnis gebeten und in die Organisation eingeweiht werden. Für die meisten Fotos seiner „Öl”-Serie ist Burtynsky auf Hebebühnen und Krähne gestiegen, oder ließ sich gleich mit einem Hubschrauber in die Höhe fliegen, um mit einer analogen Großformatkamera, Format 13 mal 18, aus der Vogelperspektive zu fotografieren.

Meistens tut er das am frühen Morgen, oder späten Abend, damit seine atemberaubenden Fotos von Fördertürmen, Parkplatzlandschaften oder gigantischen Motorradtreffen das köngliche Licht ausstrahlen, das seinen atemberaubenden Arbeiten eigen ist: In Downtown Sturgis, North Dakota, legte Burtynskys Assistent Joe mit Erlaubnis der lokalen Ordnungshüter den ohrenbetäubenden Motorradverkehr lahm, damit sein Chef von einem Kran 20 Meter über der Main Road des 6000-Seelen-Kaffs in Seelenruhe die alljährlich stattfindende „Sturgis Motorcycle Ralley” im Bild festhalten konnte. Sie ist mit rund einer halben Million Besuchern eine der größten Motorradveranstaltungen der Welt. Eine derart abwegige Veranstaltung gäbe es ohne die Entdeckung des Erdöls heute wohl nicht.