In den obersten Etagen eines Hochhauses im Zentrum von Warschau koordiniert die Europäische Union die Abwehr von Flüchtlingen nach Europa. Wer aber sind die Grenzschützer von Frontex, einer der am besten abgeschirmten EU-Agenturen und wie arbeiten sie? Ein Palastbesuch. Erschienen im Greenpeace Magazin, 2011. Fotos von Olaf Unverzart (http://www.unverzart.de)
An der Mauer eines leerstehenden Hauses gegenüber des Frontex-
Zentrale haben Demonstranten ein Graffito hinterlassen: Er zeigt eine
Pac-Man-Figur, die Frontex heißt und mit aufgerissenem Maul eine
flüchtende Familie verfolgt.
Frontex ist ein Männerverein überzeugter Jeinsager. Die europäische Grenzschutzagentur soll die Festung Europa sichern, will aber für nichts verantwortlich sein, wenn Menschen an den Grenzen sterben, obwohl sie das, was an den Grenzen geschieht, koordiniert. Die Nummer eins unter den Jeinsagern von Frontex ist Direktor Ilkka Laitinen. Wer zu ihm will, muss drei Sicherheitsschleusen des gläsernen Hochhauses mit der Warschauer Adresse Rondo ONZ 1 passieren.
Hier residieren Unternehmen wie die Credit Suisse Luxembourg, die Volkswagen Bank und die Banque Privée Edmond de Rothschild. Im Foyer händigt eine hochhackige Empfangsdame eine Magnetkarte aus, die das Drehkreuz zu den Hochgeschwindigkeitsfahrstühlen entsperrt. Mit dem Lift geht es hinauf zum 22. Stockwerk, wo, wie am Flughafen, Taschen und Jacken durchleuchtet werden. Zuletzt geht es mit einer Begleitperson durch eine Sicherheitsschleuse, in der sich die hintere Tür öffnet, wenn ein Augenscanner die Iris der Frontex-Mitarbeiterin abgelesen und sie als autorisiert identifiziert hat.
Fotoporträts an den Wänden des langen Flures, der zum Büro von Laitinen führt, zeigen zuvorkommende europäische Grenz-beamte im Einsatz. Als eine Art Think Tank analysiert Frontex sogenannte Risikopotenziale illegaler Migration in die EU, entwickelt Lösungen zur Grenzsicherung und organisiert Abschiebungen. Hauptaufgabe von Frontex ist, Grenzeinsätze und Kontrollen der Mitgliedstaaten an den Außengrenzen der EU zu koordinieren.
Vor seinem Büro grüßt Laitinen mit einem festen Händedruck. Wie an jedem Montag ist er auch heute Morgen von Helsinki nach Warschau eingeflogen. Er ist ein Expatriat, sagt er, ein Arbeitsmigrant, der in zwei Ländern zugleich lebt. Freitags geht es zurück nach Finnland zur Familie. Ein Foto hinter seinem Schreibtisch zeigt ihn als jungen finnischen Grenzsoldaten mit einem sowjetischen Kollegen. Das Bild sei von 1982, sagt er. Damals hinderten russische Grenzsoldaten ihre Landsleute daran, illegal aus der UdSSR aus-zureisen. Heute hindern Laitinens Männer Migranten und Flüchtlinge daran, unerlaubt nach Europa einzureisen.
Ein Foto von Laitinnen zeigt ihn als jungen finnischen Grenzsoldaten
mit einem sowjetischen Kollegen. Das Bild ist von 1982.
Mit dem Charme eines Versicherungsvertreters verbreitet der Direktor Jein-Boschaften, die auch einige seiner 300 Mitarbeiter auf Anfrage im Wortlaut wiederholen, fast so als gäbe es eine Sprachregelung im Hause Frontex. Er sagt: Ja, unsere Aufgabe ist es, irreguläre Migration zu verhindern. Nein, wir dürfen keine Menschenleben dabei gefährden. Menschen, die nach Europa kommen, müssten nun mal die dafür vorgesehenen Grenzschneisen benutzen. Tun sie es nicht, hätten Grenzbeamte naturgemäß einzuschreiten und illegale Eindringlinge als Kriminelle zu verfolgen und zu identifizieren. Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit zu gewährleisten, das gehöre zu den Aufgaben der Frontex-Beamten. Der Slogan seiner Agentur lautet folgerichtig: Libertas, Securitas, Justitia.
Abschotten, abschrecken, abschieben, das sei das wirkliche Credo von Frontex, sagt Bernd Kasparek. Der Kulturanthropologe ist Mitbegründer von Frontexwatch, einem deutschen Aktionsbündnis, das Neuigkeiten und Dokumente über die Agentur auf seiner Webpage bündelt, um das Migrationsmanagement der EU transparent zu machen. Karl Kopp von Pro Asyl macht Frontex-Einheiten mitverantwortlich für das menschenrechtswidrige Umdrehen von Flüchtlingsschiffen auf dem Mittelmeer. Beamte würden die Boote zur Umkehr zwingen, ohne ausreichend zu prüfen, ob Migranten Anspruch auf Asyl haben. Zudem habe Frontex eine indirekte Verantwortung für den Anstieg von Todesfällen im Mittelmeer: Nach Schätzungen von Pro Asyl sind dort seit Beginn der Unruhen in Nordafrika über 1900 Menschen ertrunken. Durch die Mitarbeit von Frontex am Grenzregime Europa ist das Mittelmeer zum Massengrab geworden, sagt Kopp.
Etwa 44 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Nach Angaben der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR wollen davon jedes Jahr maximal 250.000 nach Europa. Durch Operationen, die Frontex koordiniert, werden nach Angaben der Europäischen Kommission etwa 55.000 Menschen an der Einreise gehindert, bis zu 70 Schleuser festgenommen und rund 3000 gefälschte oder ungültige Reisedokumente beschlagnahmt. Demgegenüber reisen rund 45.000 Flüchtlinge jedes Jahr heimlich über die südlichen Seegrenzen nach Europa ein.
Das Lagezentrum wird bei Frontex Situation Room genannt und
ist ein 100 Quadratmeter großer fensterloser Raum mit sechs
Computerarbeitsplätzen. Landkarten und Grafiken sind an die Wand
projiziert. Sie zeigen die Grenzübertritte nach Europa an und werden
stündlich erneuert.
Wie jeden Tag erhält Laitinen aus dem Situation Room, wie sie bei Frontex das Lagezentrum nennen, Berichte von den europäischen Außengrenzposten: Am letzten Wochenende sind 700 Menschen in maroden Booten von Nordafrika nach Lampedusa gekommen. 600 weitere Migranten sind über die griechisch-türkische Grenze am Fluss Evros in den Palast Europa eingedrungen. Das Lagezentrum ist ein 100 Quadratmeter großer fensterloser Raum mit sechs Computerarbeitsplätzen. Landkarten und Grafiken sind an die Wand projiziert. Sie zeigen die Grenzübertritte nach Europa an und werden stündlich erneuert.
Das Lagezentrum ist jeden Tag in der Woche zwölf Stunden besetzt, der Bereitschaftsdienst ist rund um die Uhr erreichbar. Über ein internes Kommunikationssystem erhalten Beamte aktuelle Informationen zu allen Einsätzen an den EU-Außengrenzen. Zudem werten sie alle Berichte von öffentlichen Medien, Geheimdiensten und Offizieren an See-, Land- und Luftgrenzen aus und speisen sie in eine Datenbank ein. Sie ist die wahrscheinlich größte und detailreichste Sammlung an Informationen über die sogenannte irreguläre Migration nach Europa. Wie ein Schatz wird sie in den Serverräumen von Frontex gehütet.
Doch jedes noch so große Wissen über die illegale Migration verhindert nicht, dass immer wieder Menschen nach Europa eingeschleust werden, sagt Laitinen. Derzeit geschieht das auch an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei. Hier funktioniere das Sicherungssystem beider Staaten überhaupt nicht. Als im Oktober 2010 unerwartet viele Migranten von der Türkei über den Fluss Evros nach Griechenland gelangten, stellte Frontex erstmals ein sogenanntes Rapid Border Intervention Team (RABIT) zusammen, das in das Grenzgebiet entsandt wurde.
An dem Einsatz von 175 Grenzschützern aus 26 Ländern waren damals in Spitzenzeiten bis zu 40 deutsche Bundespolizisten beteiligt. In einem dem Greenpeace Magazin vorliegenden internen Papier des Innenaus-schusses des Bundestages beklagten am Einsatz beteligte deutsche und niederländische Beamte die nicht menschenrechtskonformen Maßnahmen bei der Grenzüberwachung und die nicht haltbaren Zustände in den Aufnahmelagern der grenznahen Region. Migranten seien mit körperlicher Gewalt am Grenzübertritt gehindert worden. Griechische Beamte sollen durchgebrochene Einwanderer mit Schüssen zum Stehenbleiben gezwungen haben. Die Aufnahmelager seien überfüllt gewesen und wiesen miserable hygienische Zustände auf, heißt es in dem Papier.
Direktor von Frontex ist Ilkka Laitinen.
Die Situation in den Auffanglagern will Gerald Baumkirchner nicht kommentieren. Der 42-jährige Beamte aus Graz ist diensthabender Offizier im Warschauer Lagezentrum. Vier Jahre lang war er für Frontex an verschiedenen europäischen Grenzen im Einsatz, neun Monate davon am Evros. Das ist eine politische Wertung, die meinem Dienstrang nicht zusteht, sagt er. Er könne aber über die Situation seiner Kollegen sprechen und über den sich verschärfenden Krieg zwischen Schleppern und Grenzschutzbeamten. Immer öfter schießen Menschenschmuggler auf unsere Leute, um den Weg in die EU zu erzwingen, berichtet Baumkirchner. Die Grenzen zu sichern werde immer schwieriger, weil Schleuserorganisationen immer skrupelloser, aber auch raffinierter vorgingen.
Eine kurdische Bande etwa schmuggelt neuerdings Menschen auf Luxusjachten nach Italien ein. Die Migranten reisen dabei als verkappte Touristen, die ihr Ziel kennen, die Schmuggler liefern sie sozusagen nach Bestellung ab: Mit einem Motorboot fahren Boten vorher das Küstengebiet ab. Per Funk wird dann dem Kapitän der Jacht mitgeteilt, wo und wann das Abladen der Menschen möglich ist. Auf solchen Schiffen gibt es keinen Streit, niemand gerät in Seekontrollen, die Gefahr zu sinken ist minimal. Der Preis für diese Art der Überfahrt von Istanbul nach Kalabrien liegt derzeit bei rund 1000 Euro pro Person.
Nicht so gute Bedingungen hätten Flüchtlinge aus Afrika, sagt Klaus Rösler, 56. Wenn der Oberfranke spricht, dann rollt er das R und formuliert Sätze, von denen man nicht weiß, ob sie der brutalen Realität entstammen oder bloß zynisch sind. Der Leiter der Abteilung Einsatz bei Frontex sagt: Die besten Chancen, auf einem Fischerboot die Überfahrt auf dem Mittelmeer zu überleben, haben sie an jenen Tagen, an denen die Sonne scheint, kein Wind weht und das Mittelmeer unschuldig daliegt wie der Chiemsee. An solchen Tagen bleiben sie mit hoher Wahrscheinlichkeit vom nassen Tod verschont.
Einsatzleiter Klaus Rösler. Bei
Flüchtlingsorganisationen und
unter Anti-Frontex-Aktivisten gelten
Röslers Männer als die Bad Boys
von Europa.
Wie sein Chef Laitinen wird Rösler montags nach Warschau eingeflogen. Pünktlich um 5 Uhr 11 steigt der ehemalige Bundesgrenzschützer in die Münchener S-Bahn, die ihn zum Flughafen bringt. Vier Stunden später sitzt er hier in seinem schwarzen Bürosessel über den Dächern von Warschau. Bei Flüchtlingsorganisationen und unter Anti-Frontex-Aktivisten gelten Röslers Männer als die Bad Boys von Europa, weil sie Einwanderung erschweren und Flüchtlinge, die eigentlich Anspruch auf Asyl haben, abweisen. Dabei würden ausgerechnet seine Männer massenhaft gekenterte Flüchtlinge und Migranten aus dem Wasser ziehen, die Schlepper in maroden Booten über das Mittelmeer ins Verderben schicken. Sie sind doch die Kriminellen, nicht wir, empört sich Rösler.
Doch ungewollt ist Frontex auch Motor des immer raffinierter werdenden Schmuggelgeschäfts. Denn dank des Know-hows der Agentur wird das Kontrollnetz an den Außengrenzen der EU immer dichter und irreguläre Einwanderung zunehmend erschwert. Flüchtlinge und Migranten werden gezwungen, immer längere und riskantere Wege in Kauf zu nehmen. Dadurch steigen die Preise und Gewinne derjenigen, die Frontex vorgibt zu bekämpfen: die der Schlepper. Ich kann nicht ausschließen, dass kriminelle Organisationen von unserem Handeln profitieren, sagt Rösler nachdenklich. Doch zu fordern, Grenzschützer abzuziehen, um die Preise der Schleuser niedrig zu halten, sei absurd.
Vor einigen Monaten haben 40 Aktivisten des linken Migrationsnetzwerks NoBorders gegen Laitinens Männer demonstriert. An der Mauer eines leerstehenden Hauses gegenüber des Frontex-Gebäudes haben sie ein Graffito hinterlassen, den Laitinen von seinem Bürofenster erkennen kann: Er zeigt eine Pac-Man-Figur, die Frontex heißt und mit aufgerissenem Maul eine flüchtende Familie verfolgt. Er habe nichts gegen Leute, die gegen Frontex protestieren, beginnt Laitinen eine seiner butterweichen Jein-Botschaften. Jeder dürfe demonstrieren und seine Meinung vertreten. Doch wenn ein Autofahrer sich über eine absurde Ampelschaltung ärgere, dürfe er sich nicht beim Verkehrpolizisten beschweren. Das solle er beim Verkehrsamt tun.
Frontex: http://www.frontex.europa.eu
Frontexwatch: http://www.frontex.antira.info
Pro Asyl: http://www.proasyl.de
No Border: http://www.noborder.org
DAS IST FRONTEX
Die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (Frontex) ist eine von 30 europäischen Agenturen. Sie wurde 2005 von der Europäischen Kommission gegründet und damals mit einem Jahresbudget von 6,3 Millionen Euro ausgestattet. Anders als EU-Behörden sind Agenturen wie Frontex aus dem politischen Tagesgeschäft ausgegliederte Einrichtungen. Das EU-Parlament bewilligt zwar ihr Budget, kontrolliert wird Frontex aber nur von seinem eigenen Verwaltungsrat. Der setzt sich zusammen aus den obersten Grenzschützern der Mitgliedsländer und Vertretern der EU-Kommission. Heute hat Frontex einen Etat von 88 Millionen Euro. Die Agentur verfügt über mehr als 20 Flugzeuge, 25 Hubschrauber und 100 Boote. 500 bis 600 Grenzbeamte stehen europaweit als schnelle Eingreiftruppe zur Verfügung. Derzeit wirbt Laitinen in Brüssel für mehr Kompetenzen, Wasserfahrzeuge, Helikopter und Flugzeuge.
Die gläserne Zentrale mit der Warschauer Adresse Rondo ONZ 1.
In den Etagen 22 bis 26 sitzt Frontex.