Heiteres von der Ethnofront

Unverschämt, geistreich, unkorrekt: Die Geschwister Yasemin, 37, und Nesrin, 31, Samdereli waren Autoren der ARD-Serie „Türkisch für Anfänger“. Nun kommt mit „„Almanya – Willkommen in Deutschland““ ihre erste Komödie in die Kinos. Ein Gespräch über das Groteske an der Migration. Erschienen im Greenpeace Magazin, 2010.

almaya

Yasemin und Nesrin Samdereli, Sie drehen mit Vorliebe Filme über Türken in Deutschland. Warum?
Yasemin: Wir sind Filmemacher, wir wollen in erster Linie gute Geschichten erzählen. Unser Anliegen war es nicht, einen Film über die Integrationsthematik zu machen, sonderndie Story über eine türkische Familie zu erzählen, wie sie noch nicht erzählt wurde.

In „Almanya” erzählen Sie die Geschichte von Hüseyin Yilmaz, einem jungen Türken der 1964 nach Deutschland aufbrach, um sein Glück zu suchen. Als der eine Million und erste Gastarbeiter kam er nach Deutschland und hatte romantische Fantasien über seine Zukunft.
Nesrin: Viele von denen, die kamen, hatte traumhafte Erwartungen an Deutschland. Hier sollte sich ihr Lebenstraum vom Wohlstand erfüllen. Es kursierten aber auch dumme Gerüchte unter den türkischen Auswanderern: Die Deutschen würden nicht nur Schweinefleisch essen, sondern auch Menschen! Es hieß, in Deutschland sei es immer kalt. Die Menschen seien dort dreckig. Es gebe nur Kartoffeln zu essen. Vorurteile gibt es also immer und überall – auch das wollten wir in komischer Weise thematisieren.

Um das Bizarre zu zeigen haben Sie sich eines Tricks bedient: Im Film sprechen die Türken deutsch, die Deutschen dagegen eine Kunstsprache, die dänisch klingt. Das „Deutsche” erscheint exotisch, das „Türkische” normal. Warum?
Yasemin: Die Film-Türken bilden eine sprachlich homogene Gruppe, die das Kauderwelsch der Aufnahmegesellschaft nicht versteht – genausowenig wie die deutschen Zuschauer im Kino: Sie werden durch die Kunstsprache in die Situation versetzt, die eigene Sprache nicht zu verstehen und sich fremd zu fühlen – wie Einwanderer im neuen Land.

Sie machen sich in Ihrer Komödie aus den sprachlichen Unterschieden von Türken und Deutschen einen Spaß. In der Integrationsdebatten wird aber immer wieder gefordert, dass Ausländer deutsch lernen sollen.
Nesrin: Ja, das ist auch nachvollziehbar. Es sollte für Einwanderer selbstverständlich sein, die Sprache des Landes zu lernen, in dem sie leben. Nur so ist Beteiligung möglich, nur so können sie sich selbst vor zu großer Ausgrenzung schützen.

Yasemin: Wichtiger als das, ist es, möglichst schnell fluchen zu können: Man muss das Wort „Arschloch” einwandfrei aussprechen können. Das ist für einen türkischen Muttersprachler eine hohe Kunst. (lacht!)

Nesrin: Aber natürlich ist das Thema nicht nur zum Lachen. Während der Produktionsbesprechnungen wurden wir immer wieder von Mitarbeitern gefragt, warum unser Film so wenig Bitterkeit, Melancholie und Wut verströme. Migration sei doch auch eine entwürdigende Erfahrung. Wo bitte sei der „40-Quadratmeter-Deutschland”-Effekt in unserem Film, wollte man von uns wissen?

„40 qm Deutschland” ist ein deutsches Filmdrama aus dem Jahr 1985, der Frauen als Opfer türkischer Machokultur zeigte. Das sozialkritische Publikum mochte den Film.
Yasemin: Viele der für das deutsche Publikum gemachten Filme über Einwanderer bedienen meist den Blick von Außen. Wir wollten weiter gehen: Unser Film zeigt, dass Migration nicht unausweichlich im Drama enden muss. Es gibt auch Absurdes und Lustiges aus der türkischen Migrationsgeschichte zu erzählen.

Erscheint der Film bewußt gerade jetzt als komödiantisches Gegenkonzept zum Sarrazinismus?
Yasemin: Nein. Der Zeitpunkt ist Zufall. Dennoch wird man derzeit von allen Seiten zu diesen Themen befragt, als sei man der Pressesprecher eines wie immer gearteten Türkentums in Deutschland. Diese von Sarrazin angezettelte und zwischenzeitlich völlig überhitzte Debatte, hat die Stimmung im Land nicht besser gemacht.

Innerhalb der letzten sechs Monate gab es sieben Anschläge auf Berliner Moscheen. Die eigens eingerichtete Arbeitsgruppe des Berliner Landeskriminalamts geht von politisch motivierten Taten aus.
Nesrin: Die Debatte dort draußen dreht sich um den angeblich unintegrierbaren muslimischen Ausländer, den es prototypisch in der Wirklichkeit kaum gibt. Ich selbe bekomme immer zu hören: „Ich habe nichts gegen Türken, aber …” Diese Menschen, die so daherreden, merken nicht, dass das ebenso diskriminierend ist.

Yasemin: Bei den selben Leuten provozieren offene, selbstbewusste Frauen nur verwunderte Fragen.

Warum?
Nesrin: Man fragt uns, ob wir uns mit unserer Familie überworfen hätten. Man glaubt, freie, liberale Türken gäbe es nicht. Man meint, wir seien die Ausnahme. In Wirklichkeit gib es viele junge Frauen wie uns.