An dieser Stelle sollte eine Geschichte über junge Maler aus Hamburg stehen, über Künstler wie Henning Kles, Oliver Ross, Nina Kluth, Jürgen von Dyckerhoff, Christian Hahn, Kailling Yiang, Abel Auer, Gunnar Reski und Mioke. Ich begebe mich auf die Spuren, frage Galeristen, Kuratoren und Journalisten nach diesen Talenten, doch viele der Menschen, denen ich meine Fragen stelle, reden entweder aufgeblasenes Zeug oder schmücken sich mit ihrem Wissen über den Riesen unter den neuen, deutschen Malern. Erschienen in Du, Schweiz, 2007.
Ich kenne den Mann, der alle anderen Maler aus Hamburg zur Zeit überstrahlt, flüchtig aus meiner Zeit als Barkeeper auf St. Pauli Anfang der 90er Jahre. Damals kam dieser immer mit Gedanken, Erlebnissen und Eindrücken bis zum Rand vollgelaufene Mann mit den ungekämmten Haaren meist als letzter Gast gegen vier Uhr Morgens herein, stellte sich an den leeren Tresen und hatte noch zwei, drei durchgeknallte Anekdoten zu berichten, die die kaputtgearbeiteten Tresenleute auf den Beinen hielt. Alkohol trank er nie, soweit ich mich erinnern kann. Seine Gedanken waren klar, seine Sprache war schnellgetaktet wie eine Kalaschnikow. Er wurde mir damals mit Namen Daniel vorgestellt. Mittlerweile erzielen die Bilder meines Kneipengastes auf dem zur Zeit heißgelaufenen Kunstmarkt bis zu 300.000 Euro.
Daniel Richter erinnert sich an mich, als die Pressestelle der Galerie Contemporary Fine Arts ihm meine Interviewanfrage übermittelt und lädt mich nach Berlin ein. Er ist noch nicht lange wach, als ich in sein Atelier komme. Es ist 14 Uhr. Richter schenkt mir einen Grünen Tee ein. Sein Telefon klingelt. Eine Freundin ist am anderen Ende der Leitung, der er erzählt, er sei bis sechs Uhr am Morgen wach gewesen. Ich schaue mich währenddessen in seinem 300 Quadratmeter großen Arbeitsraum um und sehe zwei Tische, alte Stühle und Sessel, Werkbänke, Bücher, Küchengerät, Bilder, Platten, Cds, Zeitschriften, Zeitungen und überall Farbspuren, kleine und große Spritzer und Schlieren. Die Streoanlage spielt irgendetwas Bedrohliches von Dimitri Schostakowitsch.
Ich male meist gleichzeitig an zwei oder drei Bildern, sagt Richter mit sonorer Stimme als er sich mir zuwendet. Mein Blick war an der Frontseite des Ateliers auf ein unfertiges Bild gefallen, auf dem ein Gebäude zu erkennen ist. Auf die Häuserwand sind Frauen gemalt, die Werbemotiven gleichen. Eine der Frauen erwürgt eine Taube. Auf einem anderen unfertigen Bild, hält Satan eine Konferenz ab: er sitzt mit dem Rücken zum Betrachter. Das Feuer vor ihm erleuchtet die Figuren, die ihm gegenüber sitzen. Die Bilder haben ein Format von etwa 4,20 x 2,50 Meter.
Das Werk des 44-jährigen Richters ist gerade zehn Jahre alt. Er gilt noch als junger Maler. Noch bis spät in die neunziger Jahre fühlte sich der ehemalige Schüler von Werner Büttner und Albert Oehlen der Abstraktion hingezogen. In den letzten Jahren hat er diese figürliche Malerei entwickelt, die ich gerade sehe. Er stiess bei einem Besuch im Pariser Musée d’Orsay auf die Historienmalerei des 19. Jahrhunderts und erprobte fortan, ob sich Ähnliches für die Gegenwart entwickeln lässt. In seinen Bildern überträgt er heute mediale Ereignisse in ein traumatisches Szenario voller Furcht, Hass und Leidenschaft.
Wenn Richter das Wort ergreift, neigt er dazu Reden zu halten, was in Ordnung ist, weil er Schlaues sagen kann. Malen sei die Fortsetzung der Wirklichkeit mit anderen Mittel. Manchmal aber müsse man auch den Mut aufbringen und Teile wegkratzen. Er lasse ungern Dinge auf der Leinwand aus reiner Faulheit heraus stehen, nur weil er einige Wochen dran gearbeitet habe. Er sagt: Wenn man unzufrieden ist, muß das neu gemacht werden. Man kann eine solche Lüge nicht aufrechterhalten.
Ich unterbreche und bitte ihn ehrlich und ohne Hintergedanken, mir zu zeigen wie es aussieht, wenn er arbeitet. Ich würde es gern sehen. Er scheint überrascht, aber nimmt dann einen Pinsel in die Hand und zeigt mir noch erheitert von der offenbar ungewöhnlichen Frage, wie er malt: Also, ich stehe dann hier vor der Ölleinwand und mache solche Bewegungen.
Er imitiert, wie er den Pinsel über die Leinwand führen würde und ich erkenne wie er einige Wimpernschläge lang fast scheu und unsicher ist bei seinem kleinen, improvisierten Schauspiel. Ich beruhige mich. Für genau diesen Moment, in dem Daniel Richter nicht das ist, was andere über ihn erzählen, sondern nur er selbst ist, war ich gekommen.
In Hamburg wird bald hoffentlich die heiße Luft einiger Wichtigtuer dem kühlen Ostwind gewichen sein.