ECHTE JUNGS

Gespräch mit den Fußballprofis Charles Takyi, Marcel Eger und Marvin Braun vom FC St.Pauli über die mediale Überhöhung von Fußballprofis, die Kommerzialisierung des Profifußballs und die Marketingmasche ihres Klubs.Von Vito Avantario und Kai Flemming. Fotos: Uwe Böhm, (www.uweboehm.com)

Wir haben uns mit den Profis vom FC St. Pauli in einem italienischen Restaurant verabredet. Es liegt in der Nähe der Trainingsanlage. Es sitzen uns drei offene, intelligente, lustige junge Männer gegenüber. Charles Takyi ist Sohn ghanaischer Einwanderer. Er lebt seit seinem fünften Lebensjahr in Deutschland. Marvin Braun stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Sein Vater ist Mechaniker, die Mutter Einzelhandelskauffrau. Marcel Eger ist bei seiner alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. In dieser Saison spielen sie für den FC St. Pauli in der Zweiten Bundesliga.
Der heute anarchistisch anmutende Klub wurde 1910 gegründet. Er begann als Verein zur Leibesertüchtigung junger Herren und Männer. Im Laufe seiner Geschichte, die auch eine nicht ganz unerhebliche Nazivergangenheit beinhaltet, wurde aus dem FC ein beachtlicher Vertreter des deutschen Fußballs. Während sich aber Stadtrivale HSV in der Bundesliga festsetzen konnte, kam der FC St. Pauli in den sechziger und siebziger Jahren nie über ein regionales Niveau hinaus. Das änderte sich mit dem ersten Bundesligaufstieg 1977.
Damals begann etwas, was als „Fußballwunder“ bezeichnet wird: Zwei bis dahin für diametral-konträr gehaltene soziale Welten verwoben sich in der Fankulutur des Klubs miteinander. Die bis dahin gewöhnlichen Anhänger mit Kutten und Schals vermischten sich mit Fans aus der aufkeimenden Hamburger Anarchobewegung. Die hatte Mitte der achtziger Jahre ihr Zentrum in der Hafenstraße auf St. Pauli. Hier entzündeten sich rund um die besetzten Häuser Kämpfe mit der Polizei. Rund um die Streitobjekte entstand eine buntes Milieu mit offenen Läden wie der Volxküche oder Bars wie dem Golden Pudel Club. Diese Szene fand ihre Heimat beim FC St. Pauli.
Seit den 80er Jahren gilt der FC St. Pauli als „„Freudenhaus” der Liga“, als „„der etwas andere Verein“”. Fans sind hier nicht Kulisse, sie machen den Klub aus, sagt man. Was aber ist von diesem Ruf wahr? Und was ist an diesen Jungs echt?

marcel eger
MARCEL EGER, ABWEHRSPIELER: „Es ist wichtig für mich, zu
verstehen, für wen ich hier auflaufe –nämlich für die Menschen, die
Geld dafür zahlen, um uns zu sehen.“ Foto: Uwe Böhm.

Herr Eger, Herr Braun, Herr Takyi, welches Auto fahren Sie?
Marvin Braun: Einen BMW Z4.
Charles Takyi: Einen Audi TT
Marcel Eger: Ich fahre einen alten Ford Mustang. Warum fragen Sie?

Wir würden gern wissen, wofür Sie Ihr Geld ausgeben. Die meisten St.-Pauli-Fans können sich diese Autos nicht leisten.
Marcel Eger: Das stimmt. Aber ich denke nicht, daß wir verschwenderisch sind, wenn wir uns hin und wieder einen materiellen Wunsch erfüllen. Wir setzen uns auch für soziale Projekte ein, wie beispielsweise „Viva con Aqua”. Es ist ein gemeinsames Projekt von FC-St.-Pauli-Mittelfeldspieler Benjamin Adrian, unserer Mannschaft und der Deutschen Welthungerhilfe. Es unterstützt Trinkwasserprojekte auf Kuba und in Äthiopien.
Marvin Braun: Wir gehen in Schulen und setzen uns dafür ein. Die Kinder nehmen das Problem der Wasserknappheit anders war, wenn sie wissen, daß St-Pauli-Spieler sich dafür eintreten.

Angeblich soll der FC St. Pauli der „etwas andere Verein” im Profigeschäft sein. Finden Sie nicht, daß diese Floskel mittlerweile eine Marketingmasche des Klubs ist?
Eger: Nein. Der Verein ist tatsächlich anders als alle anderen, in denen ich bisher gespielt habe. Ich wohne in St. Pauli und ich halte das auch für richtig, weil ich so Teil des Lebens im Viertel bin, für den ich spiele. Das ist wichtig für mich, um zu verstehen, für wen ich hier auflaufe –– nämlich für die Menschen, die Geld dafür zahlen, um uns zu sehen.

St. Pauli gehört zu den ärmsten Vierteln im Hamburg, der Verein nicht zu den reichen Klubs der Liga. Sie hätten auch zu einem anderen Verein gehen können, dann würden Sie mehr Geld verdienen. Warum sind sie ausgerechnet zum FC St. Pauli gekommen?
Eger: Es gibt in der Regionalliga viele Clubs, die mehr Geld zahlen. Provinzvereine müssen sogar höhere Gehälter zahlen, um gute Spieler aufs Land locken zu können. Ich aber spiele lieber für etwas weniger Geld in der Großstadt. Es war eine bewußte Entscheidung für diesen Verein. Auch, weil der FC St. Pauli gesellschaftlich engagierter Club ist.
Braun: Als ich kam, war ich angetan von dem politischen und sozialen Engagement, in das ich als Spieler dieses Clubs plötzlich involviert war. Ich war zwar schon immer politisch. Aber ich habe politisches Bewußtsein nie mit dem Fußball verbunden. Das habe ich hier gelernt. Manche Leute, die ins Millerntorstadion kommen, geben ihr letztes Geld, um uns sehen zu können. Es ist für uns Spieler eine Pflicht, uns reinzuhängen für diese Leute.
Takyi: Präsident Littmann hat im Trainigslager eine Rede gehalten, in der er uns auf diese Verpflichtungen einstimmt. Wir machen auch einen Stadtteilrundgang, um Verbindung zum Viertel aufzubauen. So lernen wir auch die Menschen hier kennen. Wir wissen, was die Leute bewegt. Ich will verstehen für wen ich spiele.

charles takyi
CHARLES TAKYI, MITTELFELDSPIELER: „Alles ist Gottes Wille.
Auch meine Laufbahn als Fußballer.“ Foto: Uwe Böhm.

Auf St. Pauli leben Arbeiter, Huren, Clubbesitzer, Journalisten, Werber, Studenten. Wenn Sie Ihre Arbeit mit jener vergleichen, der die anderen im Viertel nachgehen, würden Sie sagen, Ihr Job als Profifußballer ist wirkliche Arbeit?
Braun: Meistens haben wir täglich zwei Trainingseinheiten á zwei Stunden. Anschließend gehe ich in den Kraftraum oder ins Rehazentrum, um meinen Körper zu pflegen. Hin und wieder liegen Arzttermine an, Interviews, Autogrammstunden und andere Vepflichtungen für den Verein. Die Leute denken, wir Profis trainieren zwei Stunden am Tag und hängen dann zuhause vor der Playstation. Wir sind rund 40 Stunden in der Woche für unseren Club im Einsatz, das entspricht einer normalen Arbeitswoche.
Eger: Urlaub haben wir zwei Wochen in der spielfreien Zeit im Dezember und Januar und zwei Wochen im Juni und Juli. Mehr nicht. Natürlich kannst Du im Sommer aber nicht die zwei Wochen, die Du frei hast, am Ballermann herumliegen und dich volllaufen lassen.– Wir bekommen von unserem Verein Trainigspläne mit in den Urlaub.
Takyi: Ich bin vor einem Jahr vom HSV zum FC St. Pauli gewechselt. Während meiner Zeit dort war ich meist Ersatzspieler. Spielpraxis holte ich mir also in der Regionalligamannschaft. Mein Wochenende sah so aus: Am Freitag ging es mit den Profis ins Trainingslager. Samstags fuhren oder flogen wie zum Bundesligaspiel. Nach Auswärtsspielen kamen wir oft erst in der Nacht zurück. Danach ging es ins Bett, um am Sonntagmorgen wieder mit der Regionalligatruppe aufzulaufen und Abends heimzukehren. Von Freitag bis Sonntag hatte ich ein volles Programm. Wenn Du am Montagmorgen wach wirst, weißt Du, was Du getan hast.

Charles, Sie sind Christ. Warum?
Takyi: Weil nichts nur aus Zufall passiert. Wenn Sie das Leben genau betrachten, erkennen Sie, daß sich nichts von allein ergibt, sondern alles mit allem zusammenhängt und sich also ineinander fügt. Alles ist Gottes Wille. Auch meine Laufbahn als Fußballer mit all den Hürden, die ich dabei zu überwinden hatte, ist von Gott gewollt. Ich mußte auf meinem Weg zum Profifußballer auch Menschen überzeugen, die kein Vertrauen in mich hatten. In diesen schwierigen Phasen hat mir Gott den Weg gewiesen. Mein Leben ist in seinen Händen.

Beten Sie?
Takyi: Ja, ich gehe in die Kirche und bete auch zuhause. Das Gebet ist eine Möglichkeit sich zu besinnen und seinen Geist zu beruhigen. Das hilft dabei, im Profigeschäft nicht von seinem Weg abzukommen und sich nicht von falschen Freunden manipulieren zu lassen.

Woran erkennen Sie falsche Freunde und wie Menschen, die Ihnen wohlgesonnen sind?
Takyi: Als wir letzte Saison aufgestiegen sind, klopften mir viele Leute auf die Schulter, die ich nicht kannte. Das ist normal und gut so. Aber man darf diese Zuneigung auch nicht überbewerten. Die gleichen Leute würden uns in den Hintern treten, wenn wir wieder absteigen. Deswegen ist mir wichtig alte Freundschaften zu pflegen. Auf die kommt es an, wenn es nicht so gut läuft im Leben.
Eger: Mich rief neulich ein alter Bekannter an. Ich hatte lange nichts mehr von ihm gehört, ich war überrascht über sein Telefonat. Dann fragte er mich, ob ich nicht für ein Foto mit ihm zur Verfügung stehen könnte. Er wollte sein neues Geschäft mit meinem Gesicht bewerben. Jahrelang hatte der sich nicht für einen interessiert und plötzlich wurde ich meiner Bekanntheit wegen für ihn wichtig.

marvin braun
MARVIN BRAUN, STÜRMER: „Der Thron, auf den Spieler wie
David Beckham gesetzt werden, ist nicht angemessen.“ Foto: Uwe Böhm.

Wie haben Sie reagiert?
Eger: Ich stünde nicht hinter seiner Sache, habe ich ihm gesagt. Er hatte nur ein kommerzielles Interesse. Das wiederum interessierte mich nicht. Ich achte sehr darauf, wie Menschen mit mir umgehen, weil ich zur Zeit einen gewissen Bekanntheitsgrad habe. Ich beobachte, wie sich plötzlich das Auftreten einiger Menschen mir gegenüber verändert, und das verändert dich selbst auch, wenn du nicht aufpasst. Ich mußte neulich etwa meine Mutter daran erinnern, sie solle bitte nicht ständig mit ihren Arbeitskollegen und Geschäftsfreunden über mich reden, nur weil ich ein Fußballprofi bin. Ich mag das nicht.

Wie reagieren fremde Menschen, wenn sie Sie erkennen?
Takyi: Neulich brachte mir ein Pizzabote meine Pizza. Er erkannte mich sofort und hat mich im Scherz darauf hingewiesen, ich solle als Sportler nicht soviel Pizza essen, das sei ungesund. Wir haben dann beide gelacht. Heute hole ich manchmal meine Pizza selbst in der Filiale ab und lasse einige Autogrammkarten da.
Braun: Fremde sprechen mich auch machmal auf der Straße an, die wissen wie alt du bist, welche Position du spielst, woher du kommst, was dich vielleicht sogar bewegt, weil eine Zeitung Privates über dich berichtet hat. Als ich realisiert habe, ein öffentlicher Mensch zu sein, hat mich das erschrocken.

Warum?
Braun: Weil von Seiten fremder Menschen eine Nähe eintritt, die man selbst nicht erwiedern kann. Ich kenne die Fremden nicht, sie hingegen haben möglicherweise über die Medien etwas über mich erfahren. Diese beiden Ebenen decken sich nicht.

Als Profifußballer sind Sie mittlerweile wichtiger Protagonist der Entertainmentindustrie. Schmeckt Ihnen das?
Eger: Die Überhöhung des Sports durch die Medien hat teilweise perverse Züge angenommen. Dem Sport und dem Sportler wird darin zu oft eine zu große Bedeutung beigemessen. Auf der anderen Seite – und das hat die WM im letzten Jahr gezeigt – bringen die Medien den Sport zu den Menschen und führt sie zusammen. Das ist eine positive Wirkung von Medien.
Braun: Auf der anderen Seite, produzieren Medien Kunstfiguren, Popstars wie David Beckham. Er ist ohne Zweifel ein Riesenspieler. Aber der Thron, auf den er gesetzt wird, ist nicht angemessen.
Takyi: Ich finde, Beckham und seine Frau Victoria haben ihre Vermarktung geschickt vorangetrieben und sich ihren Status verdient.
Eger: Sollen sie ruhig. Auf St. Pauli jedenfalls gibt’s sowas nicht.

ZU DEN PERSONEN
Charles Takyi, 23, Profi seitdem er 17 Jahre alt ist, seit einem Jahr bei St. Pauli. Takyi wurde in Accra, Ghana geboren. Er war deutscher Jugendnationalspieler und ist so etwas wie der Star von St. Pauli. Der technisch versierte Mittelfeldspieler ist gläubiger Christ, was ihm nicht nur auf dem Fußballplatz hilft, sondern auch dafür sorgt, dass er im Profigeschäft auf der Erde bleibt.
Marcel Eger, 24, Profi seit er 21 Jahre alt ist, seit drei Jahren bei St. Pauli. Der Innenverteidiger kommt aus Nürnberg und hat nach eigenen Angaben bei St. Pauli den Spaß am Fußball gefunden, obwohl er für ihn schon einige Jahre ein Beruf ist. Darüber hinaus arbeitet er für das Projekt „Viva con Agua”, das sich für sauberes Wasser in Entwicklungsländern engagiert.
Marvin Braun, 25, Profi seit dem 17. Lebensjahr, seit einem Jahr bei St. Pauli. Marvin Braun hat etliche Clubs im süddeutschen Raum bespielt, wollte aber unbedingt nach Hamburg zurück. Der Stadt und der Atmosphäre wegen, sagt er. Mit Marcel Eger teilt der Mittelfeldspieler nicht nur die WG in Schlagweite des Millerntorstadions, sondern auch sein soziales Engagement.