Luca.Toni.Stirb.

Lange Zeit galt er als unbegabter Fußballer. Erst spät in seiner Karriere erweist sich der italienische Nationalstürmer Luca Toni als die unwiderstehlichste Offensivkraft Europas. Erschienen in Stern, 2007.

In Florenz hat Luca Toni nicht nur Freunde hinterlassen. Kaum war bekannt, er würde zum FC Bayern wechseln, schickten ihm enttäuschte Fans des AC Florenz ihre Verwünschung hinterher. „Gib mir drei Wörter,” schrieben sie auf eine Kaimauer des Arno. „Luca. Toni. Stirbt.” Noch Jahre zuvor verehrten die gleichen Anhänger, die ihm nun das Böse an den Leib wünschten, den schlaksigen Mittelstürmer als Messias.

Toni war zur Saison 2004/05 vom US Palermo zum AC Florenz gewechselt. Innerhalb weniger Wochen hatte er sich dort in die Herzen selbst der stolzesten Fans seines neuen Vereins geschossen, weil er einen Rekord der Florentiner Sturmlegenden Kurt Hamrin und Gabriel Batistuta gebrochen hatte: allein 16 Mal traf er in den ersten 13 Partien. In den übrigen 21 schoß er exakt 21 Tore. In Europa gilt Toni seither als eine unbekümmerte Tormaschine. In Wirklichkeit wirkt selten an der Art wie seine Tore fallen etwas beschwingt. Seine Treffer sind vielmehr die unbedingten Willensbekundungen eines jahrelang unterschätzen Nachzüglers.

Seit 1994 ist Luca Toni Profi. Vor sieben Jahren machte er für Vicenza Calcio sein erstes Spiel in der Serie A. Er war bereits 23 Jahre alt. „Als ich ihn damals kennenlernte war er ein Unglücksrabe,” sagt seine Lebensgefährtin Marta Cecchetto, ein Fotomodell. Sie nennt ihren damaligen Freund einen „sfigato, was im Deutschen mehr bedeutet, als nur ein Pechvogel zu sein – Tonis gesamtes Karma als Stürmer war gewissermaßen in Unglück getränkt. Bei Brescia Calcio spielte er dann mit dem bekennenden Buddhisten Roberto Baggio zusammen. „Roberto hat mir damals viel gegeben,” sagte Toni später. Es war eigenartig, aber seine italienische Fußball-Heiligkeit schien ihn damals gesegnet zu haben, denn von diesem Moment schien Toni seine wahren Fähigkeiten erkannt zu haben.

Er wechselte 2003 freiwillig zum Zweitligisten US Palermo, einem traditionell geschundenen Verein, der noch 17 Jahre zuvor wegen hoffnungsloser Überschuldung aus der italienischen Fußballföderation ausgeschlossen worden war. Mit Toni erklommen die Sizilianer erstmals wieder nach 32 Jahren das Oberhaus des italienischen Fußballs. Der Stürmer schoß in jener historischen Saison 30 Tore in 45 Spielen und wurde das Symbol für die Wiederauferstehung des Vereins. Von einem Journalisten damals nach dem magischen Rezept für seine Torgarantie angesprochen, antwortete Toni in einer an Weisheit grenzenden Schlichtheit: „Ich berühre den Ball und er geht rein,” sagte er.

Seine Bodenständigkeit rührt aus den Verhältnissen, aus denen er stammt. Tonis Familie kommt aus dem Örtchen Pavullo nel Frignano in der Provinz Modena in der norditalienischen Region Emilia-Romagna. Sein Vater Gianfranco ist Anstreicher von Beruf, seine Mutter Valeria Schuldienerin. „Von meinen Eltern habe ich gelernt, daß man Opfer bringen muß, um Erfolg zu haben,” hat Toni einmal gesagt. In der kleinen „Bar Angela” kennen ihn die Gäste am Tresen aus Zeiten, als er noch in der „Primavera” von Modena spielte, der Nachwuchsmannschaft seines Heimatvereins. An der Wand der Bar erinnern mehr als 30 Fotos an den Dorfsohn. Die Besitzer haben Toni zu Ehren die Zuckertütchen mit dessen Gesicht bedruckt. Am Eingang ist ein Schriftzug befestigt: „Luca, ein Freund, ein Champion.”

Nun ist er als Champion an den Ort seines größten Erfolgs zurückgekehrt. In Deutschland wurde er Weltmeister. Mittlerweile gehört er zu den drei am höchst dotierten Werbeträgern unter den Profifußballern Italiens, nach Francesco Totti und Alessandro Del Piero. Von Experten wie dem Manager des deutschen Nationalteams, Oliver Bierhoff, wird er hingegen nicht zu den europäischen Top-Ten-Stürmern gezählt. Vielleicht liegt das an der Art, wie Toni spielt.

Sein Laufstil erinnere an einen Gaul mit Bügeleisen an den Hufen, lästerten früher die Trainigsspatzen in Modena und Vicenza. Dabei schießt Toni im Fliegen, im Stolpern, im Liegen und im Fallen und trifft mit links, rechts und dem Kopf gleichermaßen. Meist liegt sein Gegenspieler noch im Rasen, wenn Toni bereits zum Jubel abdreht und mit der rechten Hand diese Bewegung am Ohr macht, als drehte er eine Glühbirne in seinen Kopf. „Ist es bei euch angekommen?”, soll das den Fans bedeuten. Auf den letzten Metern zum Tor ist Toni in den letzten Jahren der vielleicht unwiderstehlichste Angreifer Europas gewesen. Ist das Spiel auf ihn zugeschnitten wie in seinen guten Jahren in Palermo und Florenz, könnte er auch den Bayern in Toren zurückzahlen.

In München habe er hervorragende Arbeitsbedingungen vorgefunden. Die Menschen hier seien freundlich. Warum er denn ausgerechnet nach München gegangen sei, fragte ihn kürzlich ein Journalist der Gazzetta dello Sport. Chelsea, Inter Mailand und Juventus Turin standen ebenso bei ihm Schlange. Die aber seien keine Alternative gewesen. „Wenn ein Beckenbauer und ein Rummenigge dich fragen, ob du in ihrem Verein spielen willst, ist es keine Frage, wohin du wechselst,” hat er geantwortet.

In Florenz haben die Stadtoberen mittlerweile angekündigt, die Kaimauern des Arno von den schändlichen Graffitis befreien zu wollen.