Ich kenne Ferdiun Zaimoglu seit 1997. Damals hatten wir gerade wir mit anderen das Netzwerk Kanak Attak gegründet. Seitdem habe ich ihn immer wieder getroffen. Hin und wieder entstanden daraus Interviews. Dieses hier unten ist im Interviemagazin Alert erschienen, das damals von Max Dax herausgegeben wurde. Damals hatte Zaimoglu gerade sein Buch „German Amok“ fertiggestellt. Erschienen in Alert, 2006.
Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu und der Journalist Vito Avantario treffen sich in der Hamburger Wohnung von Zaimoglus Lebensgefährtin zum Gespräch. Zaimoglu kocht eine Kanne Espresso. Auf dem Küchentisch liegen drei Schachteln Zigaretten. Zwei davon gehören Zaimoglu. Er raucht Lucky Strike Filter und Marlboro Menthol im Wechsel und in den nächsten zweieinhalb Stunden fast durchgehend. Am Tischrand stapelt sich das gerade fertiggestellte Manuskript zu einem neuen Erzählband. Daneben steht die elektrische Schreibmaschine, auf der der Kieler Autor das Manuskript notiert hat, eine AEG, Typ Olympia Carrera SI. Zaimoglus Geschichten berichten von Randständigen, von Minderheiten, meist aus dem Soziotop der Migranten. Berühmt wurde er durch die Bücher „Kanak Sprak“ und „Abschaum“ (Rotbuch Verlag), in denen er in einer Art Pidgin-Deutsch Misstöne vom Rande der Gesellschaft notierte. Sein neuestes Buch heißt „German Amok“ und ist bei Kiepenheuer & Witsch erscheinen. Zaimoglu steckt sich seine erste Zigarette an und erzählt eine Geschichte, die ihm am Abend vor unserem Interview passiert ist: er fährt in einem Taxi durch Hamburg und kommt mit dem Taxifahrer ins Gespräch. Der erzählt von seiner geschiedenen Frau, von seiner neuen Lebensgefährtin und dann von der Krise, in der das Taxigewerbe stecke. Als Zaimoglu sich fragt, wo das Gespräch wohl hinführen wird, überkommt ihn die Ahnung, die jeder Migrant kennt, wenn er sich mit einem klagenden Kleingeist über dessen Misere unterhält. „Wissen Sie“, beginnt der Fahrer sein Jammer, „mittlerweile sind nur noch vier Prozent von uns Taxifahrern Deutsche. Der Rest Ausländer. Die zerstören unser Geschäft.“ Zaimoglu schweigt. Die Fahrt geht zu Ende. Zaimoglu zahlt, gibt einen Tip und verabschiedet sich mit den Worten: „Danke. Und übrigens: Ich bin Türke.“
Wie erklären Sie sich das Verhalten des Fahrers?
Der hat Angst vor unserem Sperma.
Bitte?
Eine Exotentusse würde gar nicht so angegangen. Schön muß sie sein und willig, dann ist sie kein Problem für einen wie den. Aber diese Halligalli-Alis, die sind die Konkurrenz für solche Typen. Wenn man sich das Treiben dort draußen mit dem Röntgenblick anguckt, dann dreht sich das Proletengespräch um eines: es besteht das rassistische Gerücht, der dahergezogene Fremde sei darauf aus, den einheimischen Mann kaputt zu machen. Das Fundament ihres Fremdenhasses ist also ein biologistisches Motiv. Nicht umsonst schlägt einem häufig zuerst der Vorwurf entgegen: „Ihr nehmt uns unsere Frauen weg.“ Diese Phrase existiert seit den Anfängen der modernen Migration nach Deutschland vor fünfzig Jahren.
Sie meinen, der Rassist fürchte den Fremdländer, weil er seine Existenz gefährdet sieht?
Ja. Es ist bloß so, daß man das in diesen Zeiten nicht sagen darf, denn von vornherein schießt man sich mit einer solchen Argumentation ab. Verfällt man nicht automatisch in einen linken Jargon, bist du sofort außen vor. Da wird der Spieß herumgedreht und man selbst steht plötzlich als Rassist da. Verkehrte Welt.
Dabei sind Sie es ja, der auf der Anti-Antifa-Liste der Neo-Faschisten steht. Wie leben Sie damit?
Kommt darauf an, wo ich mich bewege. Ich habe etliche Lesungen im Osten gehalten. Kürzlich etwa wurde ich eingeladen von der Landeszentrale für politische Bildung in Thüringen. Das Landeskriminalamt hat mir Personenschutz zugestellt, weil die Veranstalter es ganz offensichtlich für nötig gehalten haben. Ich selbst neige nicht zur Paranoia. Ich kehre potentielle Gefahren eher gern unter den Tisch, auch weil man sich schnell den Vorwurf der Larmoyanz einhandelt, wenn man einfache Tatsachen zur Sprache bringt. Jedenfalls hatte ich irgendwann keine Lust mehr Nachts einen Plastikeimer voller Wasser an mein Bett zu stellen, weil ich nicht wußte welche Geschosse nachts durchs Fenster hereinfliegen. Ich hatte auch keine Lust mehr, den Veranstaltern erklären zu müssen, daß ich nicht mit dem Zug anreisen möchte, weil hinter Lübeck die nationalbefreiten Zonen beginnen. Ich hätte ihnen ständig erklären müssen, ich komme mit dem Auto und tanke in Westdeutschland voll, um keinen stop im Osten machen zu müssen. Ich werde vielleicht in Jena oder Leipzig hin und wieder auftreten. Ansonsten habe ich beschlossen keine Lesungen in Ostdeutschland mehr zu geben.
Dem Taxifahrer sagten Sie, sie seien Türke. Zu anderen Gelegenheiten behaupten Sie, sie seien Deutscher. Was sind Sie denn nun?
Diese Zugehörigkeitsfrage ging mir schon immer auf den Keks. Was soll denn diese Frage nach der Verortung? Was erledigt sich denn, wenn dies geklärt ist? Ich gebe nichts auf Begriffe wie Heimat oder Identität.
Da könnte sich jemand für Ihre Biogafie interessieren, um Ihre Literatur zu verstehen. Das ist doch nicht verwerflich?
Was wäre denn damit gewonnen? Da würde festgestellt, was sowieso jeder im voraus zu wissen meint: da ist ein Junge von seinen türkischen Eltern gewissermaßen als Geisel nach Deutschland verschleppt worden. Hier ist er nicht mit den Milieus vertraut und deswegen ist er haßerfüllt. Alle Affekte würden somit in Ihrer ethnischen Wurzel gebündelt: dort, würde man meinen, sei das Übel, dort der Grund für sein Wesen. Na prima! So einfach ist es aber nicht: diesen Leuten empfehle ich, sich Poppertürken an irgendeiner Wirtschaftsfakultät auszugucken und die zu fragen, was die vom Leben erwarten. Die werden antworten, sie wollen ’nen guten Job, ’ne coole Frau, ’nen schmucken Wagen, eben all das Zeugs, was sich ein Normalverbraucher wünscht. Das sind normale Kleinbüger. Deren Vorstellungen würde doch auch nicht auf deren Herkunft zurückgeführt?
Der Unterschied ist, daß die nicht, wie Sie es tun, mit Texten an die Öffentlichkeit gehen.
Aber was ist denn das für eine banale Angelegenheit, jemanden dingfest machen zu wollen?
Die simpelste und vielleicht beste Möglichkeit die Geschichten eines Autors zu verstehen, ist, seine Geschichte zu begreifen. Daraus erschließt sich vieles.
Eben. Und genau das macht mich wütend. Die große Krankheit dieser Gesellschaft ist die Eindeutigkeit. Ich aber werde einen Teufel tun und eindeutige Koordinaten geben. Denn was passiert dann? Die Mehrheitsgesellschaft zählt einen sofort zu einem Kollektiv. Sofort heißt es IHR, oder DIE. An jeder Straßenecke steht doch heutzutage ein politischer Vorbeter, der uns erzählt, daß die Zeit der Kollektivmaßnahmen vorbei sei, und jetzt – besonders in Deutschland – das Recht auf Subjektivierung und Individualisierung zählt. Einen Scheiß tut man. Wenn dem aber so ist, dann nehme ich das Ernst. Das ist für mich ein Versprechen.
Nocheinmal: Wer und was sind Sie?
Also gut, wenn es jemanden befriedigt, dann sage ich folgendes: Ich bin ein Autor. Ich will Geschichten erzählen und keine Selbstverwirklichungssoße aufbereiten. Ich halte mich gern in Milieus auf, in denen es gährt. Dort fühle ich mich wohl. Deshalb sind meine Geschichten gestopft mit gährenden Fäulnisstoffen. Sie sind schmutzig. Dieser Schmutz trennt mich von vermeintlich widerständigen linken Affenköpfen und Adorno-Jüngern.
Sie waren eine Zeit lang selbst Teil der Linken. Heute dissen Sie die. Warum?
Ich hab mich da nie wirklich zugezählt, weil sie mir (lange Pause) zu maßvoll ist. Diese Leute sind so (Pause) brav. Die können gestern in der Antirassismusliga gearbeitet haben oder in der Uni-Asta, morgen sind sie bei Kanak Attak oder schlagen irgendein antirassistisches Camp auf im neuen deutschen Heidenland, im Osten. Das ist für die doch völlig beliebig, die springen auf jeden Zug auf, der einen Hype und ein gewisses subversives Potential verspricht. Und ich habe mich nicht ausgelassen über die Reaktionären. Da weiß man ohnehin wo der Feind steht.
Während einer Sitzung von Linken in Berlin haben sie einmal ausgerufen, der größte Feind für eine Migrantenbewegung sei die Linke?
Ja, die waren entsetzt. Diese Linke aber wird es früher oder später ihrer ideellen Elterngeneration gleich machen. Diese Leute haben einen Zugang: sie wandern irgendwann in die Kulturindustrie ab oder wohin auch immer ab. Ich habe keine Lust auf linke WG-Verhältnisse und auf Adorno-Jünger, die viel schwätzen können, aber das zweite Jobangebot, das denen von einem Wirtschaftsbetrieb gemacht wird, annehmen und abwandern. Diese linken Spießer können mich am Arsch lecken. Diese Leute sind Subversionskonsumenten.
Sie inszenieren in ihren Büchern einen Widerstand, den es de facto von Migranten in Deutschland nicht gibt. Es gibt keine Widerstandsbewegung, jedenfalls keine laute und sichtbare.
Das ist mir egal. Es hat eine Bewegung in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren nicht gegeben, obwohl es genügend Anlässe gab, die zu Protesten hätten führen können. (ua. Hoyerswerder, Mölln, Greifswald, Unterschriftenaktionen der CDU, Anm. d. Red.). Ich schreibe widerständige Geschichten und habe nicht vor damit aufzuhören, nur weil es Massenproteste nicht gibt. Das ändert nichts an den Realitäten. In der Öffentlichkeit werden Schleuser als Verbrecher dargestellt, weil sie Menschen ins Land bringen und sich dafür bezahlen lassen. Und nicht nur die: auch jene, die dafür bezahlen werden ins kriminelle Licht gerückt. Wer ins Land will, so die öffentliche Meinung, ist ein kriminelles Schwein. Man kann diesen Brüdern und Schwestern, die kommen und sich hier das Glück erhoffen, keine großen Hoffnungen machen. Leute wie wir, die etwas länger hier leben, wissen, man wird nie aufhören ein Schwein zu sein. Es ist mir doch scheißegal, wenn irgendwelche Pappnasen, die zu Amt und Würden gekommen sind, und früher einmal kurz den Revoluzzer gemimt haben, heute als Lampenputzer sich hinstellen und sagen, die widerständige Zeit ist vorbei: They Can Kiss My Ass!
Man hat sie im Feuilleton den Kieler „Pseudo-Revoluzzer“ genannt. Manche lächeln über sie. Verbittert sie das?
Nein, wenn es mich verbitterte, könnte ich nicht schreiben. Ich bin nicht verbittert, ich bin verärgert. Zuweilen auch haßerfüllt. Nach dem 11. September meine ich festgestellt zu haben, daß das deutsche Feuilleton eine neue Kleinbürgermoral abfeiert: was im Literaturbetrieb geboten wird ist häufig Subventionsprosa, und die riecht mehr nach Subvention als nach Prosa. (Wütend) Es kann nicht sein, daß ein paar sogenannte Fräuleinwunder sich hinsetzen, über ihre Verletzlichkeit schreiben und hochgelobt werden. (Hämisch) Andere Autoren schreiben über junge Spießer, die sich darauf freuen ins Kino zu gehen oder Händchen zu halten und die, wenn sie mal einen schlechten Tag haben, den Mond vor Ärger anheulen. Sie schreiben über ihre Kindheit und ihre verlorene Unschuld, sie wollen niemandem wehtun, sie finden, wir Menschen sind alle gleich, manchmal leiden wir und manchmal freuen wir uns … Gott verfickt nochmal! Wo leben wir denn? Was ziehen die denn für eine Niedlichkeitsshow ab? Diese Autoren pflegen das geistige Kleingärtnertum. Der Irre, so scheint es, fühlt sich in seiner Gummizelle wohl. Und die Enge, wird uns weisgemacht, ist die große Freiheit. Draußen aber platzen die Blasen, draußen wird hart geholzt, draußen sacken alle, die nicht zur Finanzaristokratie gehören, in den Ruin. Aber drinnen, und davon erzählen die meisten der neuen Bücher, geht es friedlich zu. Die meisten dieser Bücher sind Beruhigungstabletten.
Ihre Geschichten sind da eher kämpferisch, wüst und parteigängerisch.
Ja und das hat Folgen: Wenn ich solche Geschichten schreibe, heißt das: Weniger bis keine Preise, weniger bis keine Stipendien, weniger bis keine Anerkennung auf dem literarischen Gebiet.
Lassen Sie uns über das Schreiben sprechen. Sie schreiben auf einer elektrischen Schreibmaschine. Wie alt ist die?
Zehn Jahre. Ich besitze sie seit acht, seit Beginn meiner Karriere als Autor.
Warum keinen Computer?
Ich habe alles probiert: bei einer mechanischen Maschine ist der Anschlag zu hart. Der Computer ist technisch brilliant. Am PC aber wurde ich geschwätzig – ich konnte Wörter, Sätze, Absätze ausschneiden und einsetzen, ganze Seiten umbauen – am Ende aber hat mich das technische Instrumentarium vom Schreiben abgehalten.
Was genau zeichnet Ihre Schreibmaschine aus?
Es ist der schnelle Anschlag. Ich tippe mit dem Zeigefinger meiner rechten Hand, mit dem meiner linken benutze ich die Funktionstasten. Dazu bietet mir die Maschine eine Korrekturtaste.
Das klingt nach Kreidezeit …
Ja …
… und kokett.
Vielleicht erinnert meine Arbeitsweise an einen Autor, der der Nostalgie nachhängt. Von wegen, die Walze rattert so schön, ich sehe den Stapel von gedrucktem Papier neben mir wachsen und wachsen, während ich schreibe und schreibe und die Tage und Nächte vergehen. So ist es aber nicht: die Maschine bietet einfach technisch alles was ich benötige. Und am wichtigsten ist, das Schreiben auf einer Schreibmaschine erfordert ein strenges antizipatives Lektorat bevor man seine Gedanken zu Papier bringt.
Wieviele Seiten schreiben Sie am Tag?
An guten Tagen fünf. Danach bin ich aber auch zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich fühl mich dann wie ein Zombie. Ich mache die Chipstüte auf, schieb ein Video in den Rekorder und verabschiede mich von der Welt.
Ihr letztes Buch „German Amok“ haben Sie in eineinhalb Monaten heruntergeschrieben. Gearbeitet daran haben sie aber ein halbes Jahr. Wann genau wissen Sie, es ist der Moment gekommen, sich an die Maschine zu setzen und zu schreiben?
Man macht sich lächerlich, wenn man sich darüber ausläßt. Ich will es dennoch versuchen: Zu Beginn habe ich bloß eine Idee, ich kenne auch Anfang und Ende und weiß welche Grundstimmung ich erzeugen will. Mehr nicht. Dann schreibe ich Kladden voll und zeichne Skizzen. Dabei verirre ich mich oder gerate in Sackgassen: ich führe Personen ein, die nicht funktionieren, beschreibe Szenen, die mir später nicht gefallen, oder Details, die nicht stimmig sind. Ich starte aberdutzende Versuche um die Geschichte dichtzustricken und verwerfe sie wieder. Dann, irgendwann, setzt eine Atemlosigkeit ein, ein Zwerchfellflattern. Da braut sich etwas in mir zusammen, es ist ein körperliches Gefühl, das mir sagt, ich kann das Ganze nicht länger aufschieben. Das Manuskript zu dem Erzählband, das hier auf dem Tisch liegt, habe ich in einem einzigen Fieberanfall geschrieben.
Das klingt nach einer kitschigen Legende: In den Gedärmen des Autors staut sich sein Unbehagen so lange, bis er es loswerden muß, damit er nicht implodiert.
Was soll ich sagen? Was kann ich dafür, wenn ich tatsächlich dieses Klischee erfülle? Nicht bei allen Büchern, aber bei den meisten. Das gilt auch für kürzere Strecken – Essays, Kolumnen, Reportagen. Wenn es soweit ist, setze ich mich hin und schreibe den Text an meiner Maschine herunter. Ich arbeite mich Satz für Satz in die Tiefe. Es geht mir nicht wie etwa einem Schachspieler, der seine Züge plant, ich weiß nicht, was in zehn Sätzen auf dem Papier stehen wird. Ich habe nur meinen Leitfaden im Kopf. Am Ende korrigiere ich das Manuskript nur noch auf Schreib- und Interpunktionsfehler.
Und ihr Duktus und Stil steht dann auch sofort so auf dem Papier, oder konstruieren Sie den nachträglich?
Ich bin kein Bauingenieur, sondern Autor. Sprachkraft erschließt sich nicht über das technische Vermögen eines Menschen Wörter zu erfinden, oder im Duden nach Synonymen zu suchen. Es ist eine rein intuitive Angelegenheit. Es kommt mir einfach in den Sinn. Ich bemühe hier mal eine Metapher: Ich bin wie ein Hund, der rausgeht und wenn er zurückkommt, haben sich Kletten in seinem Fell verfangen. Ich bin dort draußen ständig auf Empfang. Und wenn ich heimkehre habe ich Geschichten zu erzählen, kranke Prosa.
In ihrem neuesten Buch, „German Amok“, wütet der Protagonist, ein erfolgloser Maler, von einem Tobsuchtsanfall zum nächsten getrieben, durch das Kulturmilieu und veranstaltet ein verbales Gemetzel. Er überschüttet die Bohemiens mit Häme und Spott. Haben Sie sich zur Hauptfigur ihres eigenen Romans gemacht?
Natürlich hat das Buch autobiografische Züge. Ich hätte die Person aber auch in eine anderes Milieus plazieren können. Das aber ist zweitrangig. In erster Linie gehts mir in dem Buch um das Ausmaß des Abscheus und der Wut dieses Menschen. Der Typ ist aber eiskalt dabei. „German Amok“ sind die Weltnotizen eines brodelnden Kaltblüters.
Ich finde eher eines Durchlauferhitzers.
Gut, er hat seine Schübe. Aber ansonsten läßt er sich treiben. Er geht raus und schaut sich die Deformationen der Menschen an. Sie alle sind derangiert, sie alle sind deformiert. Nun ist er aber nicht so braunäugig – und ich bin es auch nicht – daß er sich für einen besseren oder schlechteren Menschen hielte als die anderen. Er ist so wie alle, desillusioniert, aber nicht traurig oder gar verzweifelt.
Mir scheint, er ist einer, der andere mit Leidenschaft verachtet. Daraus – und aus nichts anderem – zieht er seine Lebensenergie. Was für eine arme Kreatur …
Die Wut ist sein Motor, gut. Aber was ist so schlimm daran? Ist es nicht so, daß wir uns besser fühlen, wenn wir die tatsächlich verachtenswerten Kreaturen auch verachten? Ist es nicht so, daß wir uns besser fühlen und es auch richtig ist, wenn wir diejenigen, die hassenswert sind, auch wirklich hassen? Ist es nicht ehrlicher, nicht einen solchen Werbefuzzisermon an den Tag zu legen, sondern mit der Sprache herauszurücken, auch auf die Gefahr hin, daß man gemessen am Mittelmaß zum Haßsubjekt wird? Wieso soll das Verachtung sein? Die Hauptfigur des Romans gehört zum Hassadel.
Ihr Hass aber ist nicht konklusiv: Sie begeht einen verbalen Amok zwar. Warum aber mordet sie nicht?
Es wäre eine Möglichkeit gewesen den Protagonisten zum Büchsenspanner zu machen. Wir aber haben es hier mit einem zu tun, der im Rahmen seiner Möglichkeiten den deutschen Sonderweg geht: denn abgesehen von den kollektiven Exzessen der Vergangenheit ist es doch so, daß er zwar hinausgeht und wütet, aber nicht ausartet. Deswegen heißt das Buch auch GERMAN Amok: der einzelne hier artet nicht aus. Er explodiert nicht. Er implodiert vielmehr. Es ist die Geschichte einer Implosion. Dabei aber ist er konsequent. Er ist kein Schwätzer.
Es gäbe auch keinen mit dem er schwätzen könnte, weil er das Wir-Gefühl mit anderen Menschen vollständig meidet.
Ja. Er sucht absolut keine Gemeinschaft. Warum sollte er auch? In den allermeisten Fällen haben wir es dort draußen ja mit Scheißhauspersönlichkeiten zu tun. Was also sollte er suchen? Er sucht nix. Er ist ein Untertan dieser reglementierten Gesellschaft, aber: das einzige was man einem Untertan nicht nehmen kann, ist, hin zu sehen, zu gucken. Und das tut er. Er schaut und das was er sieht läßt eine säuische Wut in ihm hochkochen.
Was sieht er?
Eine Welt, in der sich messende Tollpatsche sich maßlos verhalten, und ihre Errungenschaften zum Credo für alle machen. Im Umkehrschluß heißt das: Wir leben in einer Zeit, in der eine Nichtteilnahme an Mainstreammustern bestraft wird. Bist du dabei, ist es wunderbar. Widersetzt du dich, bist du ein Zersetzungskrakeeler. Da unterscheidet sich die Sichtweise der Romanfigur nicht wesentlich von meiner. Mir wird immer mehr klar, daß man einerseits – und das ist kein Klischee – den monolithischen Mainstream hat, mit einem Geschmack, das den Kleinbürger sättigt. Der Kleinbürger will – und das war immer so – die Enge seiner Verhältnisse verallgemeinern. Er möchte – und das stinkt ihm dann, wenn er das nicht kann – daß jeder es genauso ungemütlich hat wie er selbst. Er möchte folglich, daß ein gewisser Pegel nicht überschritten wird. Wird er es aber, dann verdunkelt sich seine Welt. Dieser Pegel, den meine ich, wenn ich vom deutschen Mainstream rede.
Ein Großteil der deutschen Bevölkerung hat sich per Volksvotum dazu bekannt, nicht gewillt zu sein, weitere Fremde, also Unbefugte, das Gelände betreten zu lassen. Migranten, die es dennoch schaffen den Wall zu überwinden, treffen auf einen politischen Mainstream, der noch immer alten Denkgewohnheiten verhaftet ist: das Geschwätz von der Integration macht noch immer die Runde. Jeder, der länger hier lebt weiß aber, es meint eigentlich Assimilation.
Ja. Dieser offiziöse Schwulst zielt noch immer auf die immergleichen Fragen ab: „Woher kommt ihr?“ „Wer seid ihr?“ „Wohin wollt ihr?“ Da hat sich seit den ersten Gastarbeiterwellen nichts geändert. Die, die jetzt kommen, trifft es besonders hart, weil die Selektionsverfahren strenger geworden sind. Es sei denn, sie sind erlesene Exemplare der Großbourgeausie. Wir, die junge Migrantengeneration kennt das Spiel ganz genau: auf politischer Ebene wird da nichts anderes gemacht als auf der Straße, es wird das Verhältnis Türsteher und Moguffe inszeniert – der Moguffe möchte da rein und der Türsteher sagt: „Hast du ne Klubkarte?“
Nicht umsonst haben junge Türken in Nordrhein Westfalen vor Jahren die ersten Türkendiscos gegründet. Die wollten nicht mehr wie die Besucher einer Behörde darauf warten bis ihre Zahl auf dem Display erscheint.
Ja. Die Leute hier verbitten sich doch auch das Leben als Wartezimmer zu sehen. Warum also sollten wir das tun? Es ist vielleicht nicht einfach für sie sich mit uns zu befassen. Wer genau hinschaut, sieht aber, wir sind doch viel weiter, als das offiziöse Geschwätz weismachen will: wir reden nicht von Anschluß an die Gesellschaft. Wir bringen neue Konzepte! Und zwar als Deutsche. Und nicht als ewige Ankömmlinge.
Sie können aber nicht Konzepte anbieten, die keiner will. Was man hingegen will, sind Loyalitäten.
Ich denke, es zeugt von normalem Menschenverstand nicht loyal zu sein. Ich bin doch kein Knecht. Ich laß mir doch von Opportunisten wie Otto Schily oder Roland Koch keine Befehle bellen und gleiche mich an. Und da bin ich nicht allein. Da gibt es viele von uns.
Neulich waren Sie Gast in der TV-Show von Johannes B. Kerner. Auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch war eingeladen. Sie sollen sich geweigert haben, ihm die Hand zu geben.
Ja, habe ich erst, die Redaktion aber bat mich darum ihn vor laufenden Kameras zu begrüßen. Ich habe das dann getan. Aber der Mann war völlig fertig: der hat erwartet, da säße ein widerspenstiger Molukke ihm gegenüber, der ihn sofort angeht, von wegen: „Ich Türke, ich fick dich, du gegen doppelte Staatsbürgerschaft, und so?“ Darauf hat er bloß gewartet, damit er sein rassistisches Programm abfahren kann. Ich habe ihm aber keinen Widerstand geboten. Ich habe nett erzählt, das Publikum hatte seinen Spaß. Und dann habe ich irgendwann als die leidige Frage nach meinee ethnischen Zugehörigkeit kam, gesagt: ich bin Deutscher. Koch wußte nicht weiter. Da habe ich gemerkt, es funktioniert auch bei so einem Rassisten und Kriminellen wie ihm.
Was funktioniert?
Wenn ich sage, ich bin Deutscher, nehme ich der Gegenseite die Waffen. Man muss dabei nur darauf achten, nicht in die „deutsche Falle“ zu tappen, wie das manch ein Arrivierter tut.
Sie meinen jene, die glauben, weil sie lange hier leben, angenommen worden zu sein und den treuen Alemannenfreund geben?
Ja. Ich meine jene, die sich jetzt auf die Hinterbeine stellen und davon sprechen, das Boot sei voll. Diese Lumpen habe gefressen. Es sind jene, die sich solidarisieren, weil sie glauben, sie haben aufgehört Nigger zu sein. Wenn der Sklave aber ein Hoch ausruft auf den Sklavenbesitzer, dann stimmt etwas nicht. Die Neigung zur Selbsttäuschung führt diese Leute dazu früher oder später erst recht die Identitätsfrage aufzuwerfen. Es sind genau diese Leute, die mir bei Lesungen sagen: „Du bist unser Alptraum: wir haben uns den Arsch aufgerissen, wir haben unser Ethnoprofil weggebogen, wir haben uns angepasst und nun kommst du und sagst …“
… und was sagen Sie?
… und ich sage: „Ja, jetzt komme ich und sage euch, ihr tragt keine Kleider! Ihr seht aus wie Kanaken, ihr stinkt wie Kanaken und ihr werdet nicht aufhören Kanaken zu sein, solange es sich in euren Köpfen um Deutsch und Nichtdeutsch, In- und Ausland dreht.“ Dieser ganze Identitätsschwulst bringt überhaupt nichts, denn worum geht es denn eigentlich: geht es hier um Qualitäten, oder worum?