„Ich kann mir meine Herkunft nicht aus dem Gesicht wischen.“

In seinem Kampf um die Schwergesichtskrone trifft Luan Krasniqi auf Lamon Brewster. Ein Gespräch über das Erbe Max Schmelings, die schöpferische Kraft von Niederlagen und die ermüdenden Fragen nach seiner Herkunft. Erschienen in Der Spiegel, 2006.

Herr Krasniqi, Ihr Kampf um den WM-Gürtel ist an Max Schmelings 100. Geburtstag angesetzt. Gewinnen Sie, wären Sie der erste Schwergewichtsboxer nach Schmeling, der den Titel nach Deutschland holt. Fühlen Sie sich bereit, der zweite Schmeling zu werden?
Entschuldigen Sie, wenn ich lachen muss. Aber Max war einzigartig, er war ein Champion, ein großer Mann. Ich habe ihm vor seinem Tod das Versprechen gegeben den Titel nach Deutschland zurückzuholen. Den Pathos um den Kampf inszenieren einige Medien. Ich bin nur ein Boxer, der siegen will.

Sie gelten in der Öffentlichkeit als einer der höflichsten Boxer. Welche ist die unhöflichste Frage, die Ihnen im Zusammenhang mit ihrem WM-Kampf zur Zeit von Medienvertretern gestellt wird?
Die nach meiner Herkunft.

Sie sind kosovo-albanischer Herkunft. Was antworten sie Journalisten, die wissen wollen, ob sie sich als Kosovo-Albaner oder Deutscher fühlen?
Ich frage zurück: Was erledigt sich dadurch, wenn ich Ihnen diese Frage beantworte?

Sie boxen unter deutscher Flagge. Die Menschen wollen wissen, mit wem sie es bei Ihnen zu tun haben?
Ich erzähle Ihnen eine kleine Geschichte: Neulich habe ich von einem Journalisten einen Fragenkatalog zugeschickt bekommen als Vorbereitung zu einem Interview. Die Liste enthielt 40 Fragen. Ich habe den Bogen gelesen und überlegt, ob ich diesem Menschen antworten soll: In den 40 Fragen hatte er mir 40 Fallen gestellt. Alle drehten sich um meine Herkunft.

Was haben Sie getan?
Ich habe das Interview abgesagt.

Warum?
Weil es unsinnig ist, die immerselben Fragen zu beantworten, die nichts über mein Wesen vermitteln. Ich kann mir meine Herkunft nicht aus dem Gesicht wischen. Will ich auch nicht. Ich lebe seit 1987 hier. Seit 1994 bin ich Deutscher. Ich weiß aber auch, womit viele Albaner in Deutschland zu kämpfen haben, ich arbeite nebenher als Dolmetscher beim Landgericht. Das Bild der Öffentlichkeit über sie ist eher negativ.

Der Albaner sei gefährlich. Er sei ein Schlitzohr. Er bewege sich in verwegenen Kreisen. Er hat einen brutalen Ruf.
Ja, das kursieren schlimme Vorurteile. Ich sage ihnen: Meine Familie, meine albanischen Freunde und Bekannte und viele mehr, die haben hier Jahrzehnte lang geschuftet und ihre Abgaben gezahlt. Das sind anständige Leute. Die wollen Anerkennung für ihre Leistung. So wie jeder andere. Was also sollen diese ständigen Fragen nach meiner Herkunft? Ich würde gern über etwas anderes reden.

Worüber?
Boxen.

Warum trainieren Sie in einem verlassenen Gym eines alten, leerstehenden Gewerbehofs in Rottweil und nicht im Trainigscamp ihres Boxstalls in Hamburg?
Rottweil ist meine Heimat. Ich habe mein Team hier um mich versammelt, meinen Trainer Torsten Schmitz und Regina Halmich. Sie verteidigt am 10. September ihren WM-Gürtel. Dann sind da noch mein Freund Firat und mein Bruder Agim. Meine Frau, mein Vater und meine Mutter leben in meinem Haus. Ich habe sieben Geschwister. Sie leben in der Nähe. Ich bin der Jüngste. In Rottweil fühle ich mich einfach wohl. Dies ist mein Zuhause. Hier kann ich konzentriert arbeiten.

Sie haben gerade ein Lauftraining beendet. Woran arbeiten Sie gleich?
An meiner Beinarbeit. Meine Oberschenkelmuskulatur neigt zur Verkürzung. Ich mache heute etwas Sandsacktraining, später Schattenboxen. Am Ende intensives Stretchen.

Es sind noch wenige Wochen zum Kampf. Woran erkennen Sie, ob Sie im Soll sind?
Es gibt viele Anzeichen, eines ist: seit der Bekanntgabe des Kampfes vor einigen Wochen habe ich diesen Tunnelblick. Mein Sichtfeld verschmälert sich von Tag zu Tag. Meine Frau sagt, wenn ich einen Tunnelblick habe, sei ich schwer erreichbar. Auch jetzt. Für meine Frau ist das nicht besonders angenehm. Aber es zeigt, alles in mir richtet sich zunehmend auf das Ziel aus. Es läuft planmäßig.

Es wird der Kampf Ihres Lebens. Wie wichtig ist Ihnen die Anerkennung, die Ihnen mit dem Titelgewinn zuteil werden würde?
Sehr wichtig. Die Prügel, die mir die Presse verabreicht hat, nachdem ich 2002 den EM-Kampf gegen Przemyslaw Saleta abgebrochen habe, waren schlimmer als der Kampf selbst. Vergessen schien, ich war Europameister und habe bei den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 eine Bronzemedallie gewonnen. Ich habe Titel für dieses Land geholt.

Als Sie nach der achten Runde beschlossen nicht mehr in den Ring zu steigen, war Ihnen bewußt welche Folgen das für Sie haben würde?
Nein. Ich kann mich genau an den Verlauf des Kampfes erinnern: Ich fühlte bereits in der vierten Runde, ich bin nicht fit. Zu Beginn der achten Runde habe ich versucht einen Angriff zu starten. Der Schwung meiner Attacke hat mich fast von den Beinen gerissen. „Hoppla, Luan,” habe ich gedacht. „Das ist nicht gut.”

Sie haben weiter gekämpft. Warum?
Ich habe mich dann in die Seile gelehnt und meinen Gegner provoziert, ich habe versucht Stärke zu zeigen: „Komm hau mich,” habe ich gesagt. Er hat mir noch zwei, drei Schläge ins Fleisch gesetzt. Dann bin ich einen Schritt ausgewichen und habe ihn weiter provoziert, ich dachte, ich könnte ihn beeindrucken. Ich wollte über einen psychologischen Trick wieder Überwasser bekommen. Er aber kam wieder auf mich zu. In diesem Moment habe ich beschlossen: bevor ich mich von einem Boxer verprügeln lasse, den ich normalerweise schlagen muss, breche ich den Kampf ab. Die Vorbereitung war zu kurz, ich wußte es vorher. Ich hielt es für die beste Entscheidung. Und sie war auch richtig.

Was war richtig daran?
Ich habe meine Gesundheit nicht aufs Spiel gesetzt. Und die Niederlage hat mich als Mensch verändert. Die Schulterklopfer hörten im Nu auf. Ich begann jene, die sich bis dahin in meinem Erfolg sonnten, von denen zu trennen, die mich wirklich mögen. Ich bin gereift. Heute fühle ich mich bereit für einen großen Titelkampf. Damals war ich es noch lange nicht. Nach dem Kampf gegen Saleta fühlte ich mich völlig deformiert.

Worin bestand die Deformation?
Von heute auf morgen war ich ein Nichts für die Leute, ein Versager, ein Depp. Was ich über mich las, löste schlimme Schmerzen in mir aus. An den Prügel der Öffentlichkeit kann man als Boxer zerbrechen. Glücklicherweise bin ich aber an der Niederlage gewachsen. Der WM-Kampf steht nun vor der Tür. Ich bin in einer sehr guten körperlichen Verfassung. Ich bin geistig fokussiert. Und fühle mich etwas ängstlich. Gute Voraussetzungen also.

plakatwand im gym von luan krasniqi, rottweil, 10.2005

Ist Angst ein gutes Zeichen?
Ja. Angst macht wachsam. Wachheit ist eine Form von Bewußtheit, die wichtig ist für einen Kämpfer. Seine Angst aber darf ihn niemals lähmen …

… oder in Wut umschlagen …
… ja, es ist nie ratsam seine Wut in einem Kampf auszuleben. Boxen bedeutet, gerade diese Wut zu bändigen, die in einem durch die Treffer des anderen hochkocht. Habe ich einen klaren Kopf, kann ich Strategien aufbauen und sie umsetzen. Es ist das Wichtigste in einem Kampf die eigene Gefühlswelt im Griff zu haben.

Sie gelten nicht als Draufgänger und Umhauer, eher als Stratege. Durch welche Taktik soll sich Lamon Brewster die Zähne an Ihnen ausbeißen?
Mein Kampfführung entwickelt sich aus den Beobachtungen, die ich währenddessen mache. Ich schaue, wie bewegt sich der andere? Welche Finten versucht er? Welche Regung erkenne ich in seinen Augen? Wie kann ich sein Befinden für mich nutzen? Ich überlege also, welche Mittel führen bei diesem oder jenem Kämpfer zum Ziel. Das ist mein Kampfstil. Aber natürlich haben wir uns für Brewster etwas ausgedacht. Eine Strategie aber posaunt man nicht herum, man setzt sie um, wenn der Moment gekommen ist. Brewster wird sich wundern.

Die US-Dyplompsychologin und Sportjournalistin Francisca Kelly hat nach jenem Kampf gegen Saleta ein Psychogramm über Sie erstellt. Darin schrieb sie, kluge Menschen müsse man nicht anschreien, mit ihnen müsse man reden. Fühlten Sie sich getroffen?
Ich nehme an, Sie hat auf das Verhalten meiner Trainer damals angespielt. Michael Timm hat von außen versucht mit rabiaten Ansagen Einfluß auf mich zu nehmen. Das hatte keinen Effekt. Er hatte nicht verstanden, wie es um mich stand. Der Journalistin bin ich übrigens nie begegnet. Aber sie hat mich im Kern getroffen. Mit Geschrei erreicht man mich nicht.

Erreicht Sie Torsten Schmitz?
Es geht im Boxen darum die Materie Mensch hinter dem Kämpfer zu verstehen. Sie zu begreifen, bedeutet ihn auf seinem Weg bestmöglich zu begleiten. Schmitz versucht eine Verbindung zu mir aufzubauen. Auch während eines Kampfes. Das ist der richtige Weg. Ich bin ihm sehr dankbar dafür.

Wie unterscheidet sich die Materie des Menschen Krasniqi, von jener des Boxers?
Sie unterscheiden sich nicht. Weder heute, noch gestern. Die Materien sind deckungsgleich. Ich gehe in meinem Sport auf.

Wie unterscheidet sich der Kosovare in Ihnen vom Deutschen?
Ich dachte, dieses Thema hätten wir vorhin erledigt? Ich unterscheide keinen Kosovaren von einem Deutschen in mir. Es gibt nur einen, nur mich. Ich weiß allerdings auch, dieses Land hat mir sehr viel ermöglicht. Ich habe hier mein Abitur und meine Ausbildung zum Großhandelskaufmann gemacht. Hier bin ich zum Boxen gekommen. Das Boxen hat es mir ermöglicht Medallien und Pokale zu gewinnen und demnächst einen WM-Fight zu haben. Ich bin sehr dankbar dafür. Aber das alles hat sich ein und derselbe Mensch hart erarbeitet, ein deutscher Staatsbürger, der im Kosovo geboren worden ist.

Einwanderer steigen meist von unten in die neue Gesellschaft ein, in die sie kommen. Mussten sie sich den Aufstieg härter erarbeiten als andere?
Ich denke nicht. Ich habe die Akzeptanz als Amateur, als deutscher Amateur, immer bedigungslos gehabt. Früher aber hieß es: Luan Krasniqi, Schwergewichtler aus Deutschland. Keiner hat Fragen über meine Herkunft gestellt. Als ich Profi wurde, hieß es plötzlich: Luan Krasniqi, der gebürtige Kosovo-Albaner. Als Amateur bewegte ich mich in der Anonymität. Als Profi aber bin ich Einzelkämpfer, ein Individualist. Heute werde ich zu Barabara Eligmanns „Clever Show“ eingeladen oder ins Aktuelle Sportstudio. Die Leute schauen also auf dich. Und dann kommen einigen eben Fragen in den Sinn.

Macht Ihnen das Schwierigkeiten?
Mich fragen die Leute immer noch, woher ich komme, wenn sie meinen Nachnamen hören.

Und was antworten sie?
„Ich bin ein waschechter Schwab!. Und wenn sie skeptisch nachfragen, lache ich. „Na, von mir aus,” sage ich: Dann bin ich a importierter Schwab”.