ÜBER DIE DESINFORMATION AUF DEM LAUFENDEN SEIN.“

Der Medienpsychologe Stephan Schwan über den Wert von Informationen in Zeiten des Krieges.

Herr Schwan, wer Wissen erwerben will, tut das heutzutage meist über ein Medium. Er muß also auf das Medium vertrauen, über das er sein Wissen vermittelt bekommt. Wie entsteht Vertrauen zu einem Medium?
Über Erfahrung. Ein Medium muß erprobt sein und über längere Zeit Informationen geliefert haben, die glaubwürdig sind. Aussagen, die in etwa in einer Zeitung oder einer Fernsehsendung gemacht wurden, müssen auch von einer anderen, möglichst unabhängigen Quelle, geäußert oder von Personen bestätigt werden, denen man vertraut.

Es kommen also verschiedene Quellen zusammen, die den Wert des Mediums und dessen Informationen untermauern?
Ja. Im Bereich der Sozialpsychologie wird in diesem Fall von „sozialer Validierung“ gesprochen. Das kann natürlich gezielt ausgenutzt werden: man muss den gleichen Unsinn nur oft genug von verschiedenen Personen in unterschiedlichen Formaten und Quellen verlautbaren lassen, dann gewinnt er zunehmend an Glaubwürdigkeit. Nehmen sie etwa die Vorbereitungen auf den Irak-Krieg …

… der britische Premier Tony Blair behauptete am 24.9.03 Saddam Husseins Raketen seien in 45 Minuten einsatzbereit. Einen Tag später läßt Bush-Beraterin Condoleca Rice verlautbaren, es gäbe eindeutige Kontakte zwischend dem Irak und der Al Quaida. Infolge infiltrierten derartige oder ähnliche Informationen alle internationalen Medien. Sie meinen, derartige Aussagen würden allein dadurch vertrauenswürdiger, weil sie en masse gestreut werden?
Ja. Um die Glaubwürdigkeit einer Aussage zu prüfen, kann ich schauen, ob sie mit der Realität übereinstimmt. Das geht aber im Falle des Irak-Kriegs natürlich nicht, denn ich bin nicht vor Ort. Ich kann die Aussage also bloß auf Stimmigkeit prüfen, wenn ich viele Informationen zu diesem Thema heranziehe und kann ich dann hoffen, daß diese zusammen ein stimmiges Bild ergeben. Das ist ein sehr aufwendiger Prozess. In der Sozialpsychologie nennt man dies „systematische Verarbeitung“…

… im Gegensatz zur „heuristischen Verarbeitung“.
Genau. Dabei verlasse ich mich auf einfachere Glaubwürdigkeitsindikatoren: Wie viele Leute vertreten etwa eine Meinung? Wie viele Argumente werden für eine bestimmte Meinung ins Feld geführt werden, zum Beispiel dafür, daß Saddam Hussein ein Schurke ist? Beides läuft auf dasselbe hinaus: wenn möglichst viele das Gleiche behaupten, dann wird der Rezipient darauf vertrauen, daß dies, was behauptet wird, schon stimmt. Aber es gibt aber noch eine weitere Variante …

… und die wäre?
Der Rezipient hält nach Quellen ausschau, die einem die mühevolle Arbeit der systematischen Verarbeitung im Vorfeld abgenommen haben, also die Informationen gesichtet, bewertet und integriert haben. Journalisten beispielsweise.

Die gelten als Experten, als Menschen also, die es wissen müssen. Keiner aber weiß wirklich, wie die ihr Handwerk ausüben: Mit welcher Qualität von Informationen, aus welchen Kanälen, hinter denen welche Interessen stehen, konstruieren sie eigentlich Wirklichkeit?
Ja. Medien wie die Tagesschau, der Spiegel oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung genießen auch was ihre Kriegsberichterstattung betrifft ein großes Vertrauen. Den haben sie sich über die Jahrzehnte erarbeitet, weil ihre Berichterstattung über einen langen Zeitraum nachweislich wirklichkeitsnah war. Man glaubt diesen Medien, weil sie und ihre Journalisten eine hohe Reputation haben.

Aber auch sie sind vor der Instrumentalisierung von Propaganda nicht gefeit?
Sie können in diesem Fall nur ihr Vertrauensniveau beim Konsumenten halten, wenn sie sich und ihre Berichterstattung thematisieren, wie während des Irak-Kriegs. Ich bin mir aber nicht sicher, ob der Verbraucher über den Stand der Desinformationsstrategien immer auf dem Laufenden sein kann. Wir nennen dieses Phänomen „Sleeper-Effekt“: die Information entfaltet eine Zeit lang keine Wirkung, weil sie durch die unglaubwürdige Quelle diskreditiert ist. Der Rezipient vergißt irgendwann die Informationsquelle, während die Information selbst ihre Wirkung weiter entfalten kann, da der „Glaubwürdigkeits-Filter“ des Rezipienten nachgelassen hat.

Das hieße, egal wie glaubwürdig oder unglaubwürdig eine Information ist: sie ist auf jeden Fall penterierbar.
Nicht generell. Information muß immer aus sich heraus eine gewisse Plausibilität besitzen.

Kann die mangelnde Plausibilität nicht dadurch kaschiert werden, indem man der Information eine Form gibt, die von ihrem wahren Gehalt ablenkt?
Ja. Lügen in die Welt zu setzen ist nicht besonders schwierig ist. Aber ein stimmiges Lügengebäude zu errichten, darin besteht die Kunst der Desinformation. Erinnern wir uns an das Auftreten von US-Außenminister Colin Powell vor der UNO. Die von ihm ins Feld geführten Beweise für Saddams Waffenarsenal, waren nicht glaubwürdig, aber wurden durch die Form der High-Tech-Präsentation in gewisserweise wahrgeschummelt.

Welche ästhetische Formen müssen Medien wahren, um als vertrauenswürdig anerkannt zu sein?
Wir sind gegenüber indexikalischen Medien, also Fotos und Filme, unkritischer, als gegenüber Texten etwa. Bildmedien zeigen scheinbar unabweisbare Tatsachen. Daß Abbildungen inszeniert, beschnitten, in digitalisierter Form manipuliert werden können ist vielen nicht klar. Und sie bemerken auch nicht, dass Bilder häufig nichtssagend sind und sie erst eine Bedeutung durch den begleitenden Text erhalten.

In gewisser Weise haucht erst der Text dem Bild die dritte Dimension ein.
Ja. Ein Foto, das ein unscharfes Gebäude zeigt mit einem Fadenkreuz drauf, sagt nichts. Erst wenn wir wissen, es handelt sich dabei um eine Chemiefabrik oder ein Kinderkrankenhaus, haben wir einen interpretatorischen Rahmen, um das Bild einzuordnen und es als Beleg für eine bestimmte Argumentation zu akzeptieren.

Bewegen wir uns also in einer bilderüberfluteten Welt, automatisch in eine Welt und der Halbwahrheiten, der diffusen Wirklichkeit, der Desorientierung?
Weiß ich nicht. Bilder- und Informationsflut sind ersteinmal Symptome für eine komplexer gewordene Welt. In der Frühzeit der Menschheit waren die relevanten Informationen in der unmittelbaren Umgebung zu finden.

Sie meinen, da wußte die Nachbarin, was im eigenen Häuserblock passiert. Der konnte man vertrauen oder mißtrauen.
Ja. Heute aber kann das Käuferklima in Kalifornien einen mehr oder weniger direkten Einfluss auf mein Leben hier in Linz haben. Diese Entwicklungen sind nicht nur weit weg, sondern auch sehr stark miteinander vernetzt. Das mentale System des Menschen aber ist für viel einfachere räumliche Verhältnisse ausgerichtet und versucht nun, den neuen komplexen Verhältnissen mit mentalen Strategien aus der Frühzeit beizukommen.

Welche Strategien meinen Sie?
Die Strategien des Vertrauens. Die ist bei unmittelbaren persönlichen Kontakten auch einigermaßen sinnvoll. Wir ermessen daran Sympathie oder Antipathie, beurteilen also Personen aufgrund ihres Verhaltens oder ihrer Popularität in der Gruppe. In medialen Zusammenhängen sind sie aber nur schwer anzuwenden: mit diesen Stategien werden plötzlich auch Politiker im Fernsehen beurteilt und mit diesem Urteil gehen Menschen dann an die Wahlurne.

Hat sich das Verhältnis umgekehrt: man vertraut eher auf von Medien transportierte, als auf von Menschen übermittelte Informationen?
Dort wo beide Informationsquellen – Medien vs. Mensch – in Konkurrenz stehen, würde ich der unmittelbaren Information weiterhin einen hohen Stellenwert einräumen. Das Problem ist bloß, in vielen Bereichen besteht eine solche Konkurrenz garnicht mehr.

Welche Bereiche meinen Sie?
Zum Beispiel der der Wissenschaft. Was unsere Gesellschaft an wissenschaftlichen Erkenntnissen erfährt, wird im wesentlichen durch die Medien vermittelt, von Zeitschriften etwa wie Quarks & Co bis zu P.M. Die Universität Linz betreibt ein Forschungsprojekt, mit dem auf europäischer Ebene untersucht wird, in welcher Weise die Erkenntnisse über Genmanipulation in den Medien reflektiert werden und welche Konsequenzen das auf die allgemeine Vorstellungswelt der Menschen hat: durch die genannten Medien werden Stereotype vermittelt, Bilddarstellungen etwa, die eine genmanipulierte Maus mit einem Ohr auf dem Rücken zeigen oder eine Tomate, in die etwas mit einer Spritze injiziert wird. Diese Images bilden dann soetwas wie einen Kristallisationspunkt für ein ganzes Netz von Vorstellungen zu diesem Thema. Mit der Wirklichkeit hat das aber nicht immer etwas zu tun.

Wie ist das in der Politik?
In der Lokalpolitik ist die menschenvermittelte Information noch relevant. Aber schon in nationalen Zusammenhängen wird es schwieriger. Und bei internationale Konflikten, hört es ganz auf. Sie können sich hierbei fast nur noch auf Medieninformationen verlassen – oder nicht.

ZUR PERSON
Stefan Schwan, 42, ist Medienpsychologe. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die mentale Verarbeitung von medial transportierten Informationen. In den letzten Jahren beschäftigt er sich dabei vor allem mit neuen Medien: Multimedia, virtuelle Realitäten, Hypermedia, Computerkonferenzen. Er doziert an der Universität Linz in Österreich.