DIE UNBEUGSAM FEHLGELEITETEN

Über die Fankurve von Lazio Rom und den sich mobilisierenden Widerstand gegen die Infiltration Rechtsradikaler in den italienischen Fußball. Erschienen im Stern 2007.

Nirgendwo sonst in Europa sind die Fankurven von Fußballfans derart politisiert wie in Italien. Soziale Befindlichkeiten bahnen sich dort schnell ihren Weg auf die Ränge: Vor einigen Tagen etwa ist die Ehefrau eines italienischen Marinegenerals bei einem Überfall in Rom ermordet worden. Die Behörden haben sofort Ermittlungen aufgenommen und einen Rumänen verhaftet. Der Verdächtige bestreitet bisher alles. Für das Tribunal rechtsradikaler Anhänger des SS Lazio Rom ist die Angelegenheit allerdings schnell justiziabel gewesen: Am vergangenen Wochenende spielte die Fiorentina im römischen Olympiastadion. Während der Partie musste sich der rumänische Nationalspieler Adrian Mutu vom AC Florenz bei jeder seiner Ballberührungen erbarmungslos auspfeifen und als „Zigeuner” beschimpfen lassen. Der italienische Fußballverband prüft seitdem eine Platzsperre Lazio Roms.

Erst zwei Wochen ist es her als rechtradikale Anhänger von Lazio zuletzt für Empörung gesorgt haben. Während des Hinspiels der Champions-League-Partie gegen Werder Bremen hatten sie mehrmals mit Sprechchören den früheren faschistischen Diktator Italiens, Benito Mussolini, gefeiert. Die Aktion „Zusammen gegen Rassismus” beantworteten sie mit dem Hitlergruß. Werders Sanogo wurde mit Affengeschrei beleidigt. Seitdem ermittelt eine Untersuchungskommission der UEFA. Sie suche Bilder und Zeugenaussagen, heißt es aus der Zentrale in Nyon im Vorfeld des heutigen Rückspiels.

Zum harten Kern des Tifo Laziale gehört eine 7000 Mann große Gruppe, die sich die „Irriducibili” nennen. „Irriducibili” bedeutet soviel wie „die Unbeugsamen” oder „die Erbitterten”. Chef dieser Truppe ist Fabrizio Toffolo. Bis Ende 2006 hatte Toffolo Stadionverbot, weil er einen Polizeibeamten auf dem Weg zu einem Auswärtsspiel am Bahnhof Termini verletze. Er wurde zu 18 Monaten Haft verurteilt, einen Drittel davon hat er in der römischen Haftanstalt Regina Coeli abgesessen, der Rest wurde zu Hausarrest umgewandelt. Bei Lazio-Spielen hatte Toffolo in dieser Zeit zu Anpfiff, Halbzeit und Schlußpfiff eine Unterschrift bei der römischen Polizei abzugeben. Früher gab er im Stadion die Chöre und die Parolen vor: Als der Serbe Sinisa Mihajlovic etwa noch in Rom spielte, brachten es Toffolos Leute fertig, ein Transparent mit den Worten aufzuhängen: „Ehre dem Tiger Arkan.” Das war vor fünf Jahren. In Belgrad war damals der Kriegsverbrecher Zeljko Raznatovic, genannt Arkan, ermordet worden. Er soll ein Freund des Lazio-Spielers gewesen sein, deshalb hätten sie das gemacht, sagte Toffolo später. „Wir wollten ihm unsere Anteilnahme zeigen.” Der Skandal war natürlich so bewußt kalkuliert, wie jener als 1999 während eines Stadtderbys die gegnerischen Fans vom AS Rom mit einem 18 Meter langen Transparent wurden, auf dem stand: „Auschwitz ist eure Heimat, die Öfen euer Zuhause”.

Lazio Rom ist soetwas wie der rechtsradikale Cousin der traditionell linken AS Roma. Die „Società Sportiva Lazio” wurde 1900 gegründet. Sie hatte anfänglich eine bürgerlich-konservative, später eine eindeutig faschistische Clientel. Unter anderem war auch Mussolini Mitglied des Vereins.
Die „Roma” wurde 1927 im Arbeiterviertel Testaccio gegründet. Romas erster Präsident war Renato Sacerdoti, ein Jude. In den siebziger und achtziger Jahren wurden die Fans der Roma von der als links geltenden Fangruppe der „Cucs” angeführt. Sie löste sich Mitte der neunziger Jahre auf. Seitdem bestimmen allerdings bei der „Roma” immer häufiger auch rechte Anhänger wie die „Boys” die Choreografie in der Südkurve des Olympiastadions.

Nach Einschätzung des italienischen Innenministeriums gibt es rund 10.000 gewaltbereite Fans in Italien, auch aus dem linken Spektrum: die Ultras der „Brigate Autonome Livornese” (Fans des AC Livorno) sind Antifaschisten und Kommunisten. Der Nukleo der Fans vom AC Florenz gehört ebenfalls zum linken Spektrum. Der FC Genua hat eine große Zahl antirassistischer Skinheads unter seinen Fans. Aber – und das ist wenig bekannt – auch Lazio Rom hat mit den „Dissidenti” eine antirassistische Gruppierung unter seinen Ultras, die seit Jahren gegen die Unterwanderung der Lazio-Nordkurve durch Rechtsnationale kämpft. Doch die Mehrheit der gewaltbereiten Fans in Italien kommt aus dem rechtsextremen Spektrum. Viele von ihnen gelten als von faschistischen Gruppen wie der „Forza Nuova” („Neue Kraft”) infiltriert, wie etwa die „Curva Sud” von Chievo Verona. „Forza Nuova” wurde 1997 gegründet. Sie pflegt gute Kontakte zur deutschen NPD. Auf der Weppage der deutsch-nationalen wird auf die italienischen Kameraden verlinkt. Erst im letzten Jahr hielt der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt eine Rede im italienischen Viterbo auf Einladung der „Forza Nuova”, während der er die Zuhörer auf eine Einigung der nationalistischen Parteien in Europa einschwörte.

Seit längerem aber formiert sich auch in Italien Widerstand gegen die schleichende Vereinnahmung der Fankurven durch Faschisten und Neo-Nationalisten: Nicht nur der Präsident des AS Rom, Franco Sensi, distanziert sich deutlich von den rechtsradikalen Fans seines Klubs. Sein Stürmerstar Francesco Totti drohte bereits damit, Verein und Stadt zu verlassen, wenn die faschistoide Unterwanderung der „Roma”-Südkurve nicht gebremst würde. Der italienische Verband hat mittlerweile Bestimmungen erlassen, wonach Inhalte von Transparenten und Plakaten vor Eintritt ins Stadion von der Polizei kontrolliert werden. Erlaubt sind überdies nur noch Spruchbänder von 1,5 Meter Länge aus feuerfestem Stoff.

Ein anderes Beispiel für den Widerstand gegen den Rechtsradikalismus sind zudem auch die „Mondiali Antirazzisti” in Norditalien, eine „antirassistische Weltmeisterschaft”, bei der sich jährlich bis zu 6.000 Fans zusammenfinden, um gegen Rassismus und rechtextremistische Tendenzen im internationalen Fußball zu demonstrieren. Eher symbolhaft dagegen ist die Aktion des FC Messina einzustufen: Nach dem der Spieler André Zolo Kpolo 2006 bei einem Spiel zwischen dem FC Messina und Inter Mailand von den Inter-Fans bei jedem Ballkontakt mit Affenlauten beleidigt worden war, wurde der Abwehspieler von der Elfenbeinküste beim Spiel gegen den FBC Treviso mit der Kapitänsbinde ausgestattet. Diese Aktion bezeichnete der Präsident von Messina, Pietro Franza, als ein „Symbol für den Kampf gegen Rassismus im gesamten italienischen Fußball”.

Werder Bremen hat derweil zum heutigen Champions-League-Spiel gegen Lazio ein halbes Dutzend Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes mit nach Rom genommen. „Wir kennen den politischen Hintergrund der dortigen Fans”, begründete Manager Klaus Allofs die Entscheidung. Der Schutz gelte den eigenen Fans, nicht der Mannschaft. „Wir wollen unseren Anhängern Sicherheit bieten”, sagte der Manager. Der Verein hat den anreisenden Bremern davon abgeraten, allein ins Stadion zu gehen. Die Werder-Fans sollten in Begleitung von italienischer Polizei und deutschem Sicherheitsdienst zum Stadion fahren.